Rot und Schwarz
merkte, daß sie es nicht wünschte.
Mit unverhohlenem Zorn fuhr sie ihn an: »Herr Sorel, Sie bilden sich wohl ein, wunder welche Rechte über mich zu haben? Sie wollen mich sprechen, obgleich ich es Ihnen deutlich genug zeige, daß ich es nicht will. Wissen Sie, daß sich das mir gegenüber noch niemand herausgenommen hat!«
Die darauf folgende Aussprache des Liebespaares war spaßhaft anzusehen. Ohne es zu ahnen, waren sie von starkem Haß gegeneinander erfüllt. Da keines geduldigen Gemüts war und sie beide obendrein an den herkömmlichen Gewohnheiten der guten Gesellschaft hafteten, so dauerte es nicht lange, bis sie sich klipp und klar erklärten, daß sie für immerdar miteinander gebrochen hätten.
»Ich schwöre Ihnen ewige Verschwiegenheit«, beteuerte Julian. »Am liebsten möchte ich Ihnen sogar schwören, nie wieder mit Ihnen zu sprechen. Aber ein so auffälliges verändertes Benehmen von mir müßte Sie bloßstellen.«
Er verneigte sich ehrerbietig und verschwand.
Damit vollzog er ohne besondre Selbstüberwindung, was er für seine Pflicht erachtete. Er dachte nicht im geringsten daran, daß er in Mathilde verliebt sein könnte. Unzweifelhaft hatte er sie vor drei Tagen, als er im Mahagonischrank stak, nicht geliebt. Aber sein Seelenzustand änderte sich mit einem Schlage, wie er sich von Mathilde für allezeit geschieden sah.
Zu seiner Qual führte ihm sein Gedächtnis bis in die winzigsten Kleinigkeiten jene Liebesnacht wieder vor, die ihn während der Wirklichkeit so kalt gelassen hatte. Schon in der ersten Nacht nach ihrer Entzweiung glaubte Julian verrückt zu werden. Er mußte sich eingestehen, daß er Fräulein von La Mole liebte. Dieser Entdeckung folgten furchtbare seelische Kämpfe. Sein Innenleben war gründlichst aus dem Gleichgewicht.
Am dritten Tage konnte er sich kaum davon zurückhalten, Herrn von Croisenois unter Aufgabe allen Stolzes weinend um den Hals zu fallen.
Im weiteren Laufe seines Herzeleids fiel ein Strahl von Vernunft in seine Seele. Er entschloß sich, nach dem Languedoc zu reisen, packte seinen Koffer und ging zur Posthalterei. Als er dort vernahm, daß ganz zufälligerweise ein Platz in der Post nach Toulouse für den nächsten Tag frei war, brach er beinahe zusammen. Er bestellte ihn und begab sich wieder nach dem Hotel de La Mole, um dem Marquis seine Abreise zu vermelden.
Herr von La Mole war ausgegangen. Mehr tot als lebendig begab sich Julian nach der Bibliothek, um dort zu warten. Er verlor seine Sinne, als er daselbst Mathilde fand.
Als sie ihn eintreten sah, zog sie eine niederträchtige Miene, die nicht mißzuverstehen war. Verleitet durch sein Unglück und durch die Überraschung bestürzt, war Julian so schwach, sie im zärtlichsten, innigsten Tone zu fragen: »Sie lieben mich also nicht mehr?«
»Ich ekle mich vor mir, weil ich mich dem ersten besten hingegeben habe!« erwiderte Mathilde. In der Wut über sich selbst traten ihr Tränen in die Augen.
»Dem ersten besten!« schrie Julian und riß einen alten Degen von der Wand, der dort als mittelalterliche Antiquität hing. Er wähnte Tränen der Scham zu sehen. Das verhundertfachte seinen Schmerz, der ihm im Augenblicke, wo er Mathilden ansprach, schon grenzenlos erschienen war. Imstande zu sein, sie zu töten, wäre ihm das höchste Erdenglück gewesen. Der Degen ließ sich nur mit Mühe aus der Scheide ziehen.
Hoheitsvoll trat Mathilde ihm entgegen. Die Neuheit des Erlebnisses entzückte sie. Ihre Tränen waren versiegt.
Mit einem Male fiel ihm ein, daß er die Tochter seines Wohltäters vor sich hatte. »Ich seine Tochter töten? Grauenhaft!« rief er sich im Geiste zu und war eben im Begriffe, den Degen in die Ecke zu werfen. »Nur keine Operettengeste! Sie würde mich auslachen!«
Wieder voll bei Verstande, betrachtete er die Klinge sorgsam, als suche er Rostflecke darauf. Dann steckte er sie in die Scheide und hängte die Waffe mit der größten Ruhe an den vergoldeten Haken an der Wand.
Die ganze, gegen Ende langsame Szene hatte keine Minute gedauert. Mathilde sah Julian erstaunt an.
»Um ein Haar wäre ich also von meinem Liebhaber ermordet worden!« jubelte sie sich zu. Der Gedanke versetzte sie in die schönsten Zeiten Karls IX. und Heinrichs III. Unbeweglich stand sie vor Julian. Es lag nicht der geringste Haß mehr in ihrem Blicke. In diesem Augenblick sah sie verführerisch aus, ganz und gar nicht wie eine Pariser Puppe. (Das war der größte Vorwurf, den Julian den Pariserinnen
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