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Rot und Schwarz

Titel: Rot und Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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beschäftigt sich ungeheuerlich viel mit sich selbst, wie so viele Frauen, denen ein Übermaß von Reichtum oder Vornehmheit zuteil geworden ist. Auch in ihrer Beziehung zu Ihnen achtet sie nur auf sich, nicht auf Sie, den sie infolgedessen gar nicht kennt. Während der zwei, drei Anfälle von Verliebtheit, in denen sie sich unter vollem Aufgebot ihrer Phantasie Ihnen geschenkt hat, hat sie in Ihnen den Helden ihrer Träume gesehen, nicht den, der Sie in Wirklichkeit sind...« Er unterbrach sich selbst. »Aber zum Donnerwetter, das ist ja das Einmaleins, mein lieber Sorel! Sind Sie denn gänzlich Anfänger? – Beim Teufel, kommen Sie mit in diesen Laden! Da hängt eine reizende schwarze Krawatte. Beinahe wie von John Anderson in der Burlington-Street. Machen Sie mir die Freude, lassen Sie sich das Ding von mir dedizieren und werfen Sie den schändlichen schwarzen Strick, den Sie da um den Hals haben, weit weg!«
    Als sie aus dem Laden des ersten Straßburger Modenhändlers wieder herauskamen, fuhr der Fürst fort: »Mit welchen Damen verkehrt Frau von Dubois näher? Du mein Gott, dieser Name! Seien Sie mir nicht bös, lieber Sorel! Er gefällt mir nun einmal nicht... Wem wollen Sie den Hof machen?«
    »Einer ganz Unnahbaren. Der Tochter eines enorm reichen Strumpffabrikanten. Sie hat die schönsten Augen der Welt, die mir riesig gefallen. Sie ist hochangesehen, aber trotz alledem schämt sie sich, ja sie verliert ihre Fassung, wenn das Gespräch auf Handel und Industrie kommt...«
    »Eine göttliche Lächerlichkeit! Für Sie aber recht nützlich. Das wird Sie davor bewahren, allzusehr in den Bann ihrer schönen Augen zu geraten. Um so sicherer ist der erwünschte Erfolg.«
    Julian hatte die schöne Marschallin von Fervaques im Sinne, eine Ausländerin, die viel im Hause La Mole verkehrte. Sie hatte den Marschall ein Jahr vor seinem Tode geheiratet. Ihr ganzes Leben hatte kaum einen andern Zweck als den, die Tatsache in Vergessenheit zu bringen, daß sie die Tochter eines Industriellen war. Um eine Rolle zu spielen, hatte sie sich an die Spitze aller Tugendsamen gestellt.
    Julian betete den Fürsten förmlich an. Was hätte er nicht darum gegeben, seine schwachen Seiten zu besitzen.
    Die Unterhaltung der beiden Freunde fand kein Ende. Korasoff war entzückt. Noch nie hatte ihm ein Franzose so lange zugehört. »Jetzt hab ich es endlich erreicht!« frohlockte er im stillen. »Man hört auf mich, wenn ich meinen Schulmeistern Unterricht gebe!«
    »Wir verstehen uns also!« wiederholte er Julian zum zehnten Male. »Um Gottes willen nicht die geringste Leidenschaftlichkeit, wenn Sie in Gegenwart von Frau Dubois mit der schönen Strumpffabrikantentochter sprechen! In Ihren Briefen aber müssen Sie Feuer und Flamme sein! Eine schöne Liebesepistel zu lesen ist für die Allerprüdeste ein Hochgenuß, eine Art Erholung. Sie spielt dann einmal keine Komödie. Sie läßt ihr Herz lauschen. Schreiben Sie ihr getrost täglich zwei Briefe!«
    »Kann ich nicht. Unmöglich!« stöhnte Julian mutlos. »Lieber lasse ich mich lebendig begraben, als daß ich dummes Geschwätz zu Papier bringe. Ich bin so schon halb tot. Geben Sie sich keine Mühe mehr mit mir. Lassen Sie mich am Wege sterben!«
    »Aber wer verlangt denn von Ihnen, daß Sie dummes Geschwätz zu Papier bringen sollen? Ich habe in meiner Reisetasche sechs Bände geschriebener Liebesbriefe für alle möglichen Frauencharaktere, selbst für ganz Tugendsame.«
    Als Julian seinen Freund nachts um zwei Uhr verließ, war er nicht mehr ganz so unglücklich.
    Am andern Morgen ließ der Fürst einen Schreiber kommen, und zwei Tage darauf besaß Julian dreiundfünfzig sorglich numerierte Liebesbriefe, ausgewählt für einen melancholischen Tugendengel. Sie waren ursprünglich an die niedlichste Quäkerin von ganz England gerichtet.
    »Mehr sind es nicht«, bemerkte der Fürst, »denn nach Numero 53 bekam der Absender einen Korb. Aber was tut es Ihnen, wenn die Strumpffabrikantentochter Sie schlecht behandelt. Sie wollen ja nur auf das Herz der Madame Dubois wirken!«
    Sie ritten täglich aus. Korasoff war in Julian vernarrt. Da ihm kein andrer Beweis seiner impulsiven Freundschaft einfiel, bot er ihm schließlich die Hand einer seiner Cousinen an, einer steinreichen Erbin in Moskau. »Sind Sie erst verheiratet«, setzte er hinzu, »so bringen Sie es durch meinen Einfluß und durch Ihr Kreuz da in zwei Jahren zum Oberst!«
    »Aber das Kreuz ist mir nicht von Napoleon verliehen. Da

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