Rot und Schwarz
hätte ich mehr leisten müssen!«
»Schadet nichts!« sagte der Fürst. »Er hat es gestiftet. Es ist immer noch weitaus das höchste Ehrenzeichen in Europa!«
Julian war nahe daran, das Angebot anzunehmen; aber die Pflicht rief ihn zuvörderst zum Herzog zurück. Er verließ Korasoff mit dem Versprechen, ihm zu schreiben.
Er empfing die Antwort auf den geheimen Bericht, den er überbracht hatte. Damit eilte er wieder nach Paris.
Kaum war er zwei Tage sich selbst überlassen, so wäre er lieber gestorben, als daß er Paris und Frankreich verlassen hätte. Er sagte sich: »Ich werde Korasoffs Millionen nicht heiraten, seinen Rat aber befolgen. Die Verführungskunst ist sein Metier. Seit mehr denn fünfzehn Jahren betreibt er es. Er ist dreißig Jahre alt. Daß er ein dummer Mensch wäre, kann man nicht sagen. Er ist mit allen Wassern gewaschen. Romantik und Schwärmerei sind ihm fremd. Ein Grund mehr, daß er klar sieht. Zweifellos, ich muß der Marschallin den Hof machen. Vielleicht ist dies eine etwas langweilige Sache. Ich werde mich am Anblick ihrer schönen Augen schadlos halten. Sie sind denen ähnlich, die mir ehedem so viel Liebe verrieten. Übrigens ist sie Ausländerin. Ich habe also etwas Neues zu studieren ... Ach, ich bin toll. Ich richte mich zugrunde. Ich soll die Ratschläge eines Freundes befolgen, vermag aber nicht an den Erfolg zu glauben.«
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Fünfundzwanzigstes Kapitel
Im Dienst der Tugend
Doch wenn ich dies Vergnügen mit so viel Vorsicht, so viel Behutsamkeit genießen muss, dann ist es für mich kein Vergnügen mehr.
Lope de Vega
W ieder in Paris, legte Julian dem Marquis die mitgebrachten Aktenstücke vor, über die dieser sichtlich in Bestürzung geriet. Als die Stunde des Diners heranrückte und damit das Wiedersehen mit Mathilde, kleidete sich Julian auf das sorgfältigste an. Als er dann aber die Treppe hinunterging, sagte er sich: »Nein! Das wäre gleich eine Dummheit! Ich muß mich buchstäblich an die Vorschriften des Fürsten halten.«
Er stieg wieder hinauf und zog einen einfachen Straßenanzug an.
»Jetzt kommt es auf meine Mienen an«, dachte er.
Um sechs Uhr wurde gegessen. Es war erst halb sechs. Da kam er auf den Gedanken, in den Salon zu gehen. Er fand ihn leer. Beim Anblick des blauen Sofas ward er zu Tränen gerührt. Die Wangen fingen ihm an zu glühen. »Ich muß meine törichte Empfindsamkeit überwinden; sie kann mich verraten!« meinte er ingrimmig und lief ins Lesezimmer, wo er eine Zeitung zur Hand nahm, um wieder zur Selbstbeherrschung zu kommen. Drei-, viermal ging er vom Salon in den Garten.
Im Schutze einer alten Eiche wagte er nach Mathildens Fenster hinaufzublicken. Er zitterte dabei. Die Vorhänge waren dicht zugezogen. Julian wäre beinahe umgesunken. Lange blieb er an die Eiche gelehnt stehen. Dann ging er schwankenden Schritts an die Stelle, wo die Leiter des Gärtners lag. Die Kette, die er – ach, unter so ganz andern Umständen! – aufgesprengt hatte, war noch nicht wiederhergestellt. In einer Anwandlung von Wahnsinn drückte er sie an seine Lippen.
Gräßlich müde, irrte er durch den Garten. »Gut, daß ich müde bin!« sagte er sich. »Meine Augen werden matt sein und mich nicht verraten!« Im Salon fand er eine Anzahl Tischgäste vor. Jedesmal, wenn sich die Tür öffnete, zuckte ihm tödlicher Schreck durch das Herz.
Man setzte sich zu Tisch. Endlich erschien auch Fräulein von La Mole, die wie immer auf sich hatte warten lassen. Als sie Julian erblickte, errötete sie tief. Man hatte ihr seine Rückkehr nicht gemeldet. Einer Anweisung Korasoffs gemäß beobachtete Julian ihre Hände. Sie zitterten. Unsagbar verwirrt über seine Wahrnehmung, war er froh darüber, daß sie ihm nicht dies, sondern nur seine Müdigkeit anmerken konnte. Das dünkte ihm ein erster Erfolg zu sein.
Der Marquis sprach ihm seine Anerkennung aus. Gleich darauf richtete die Marquise das Wort an ihn und sagte ihm in ein paar verbindlichen Worten, er sei sichtlich angegriffen. Julian wiederholte sich immer wieder: »Ich darf Mathilde nicht zu viel ansehen, aber meine Blicke dürfen den ihren auch nicht ausweichen. Ich muß als der erscheinen, der ich acht Tage vor meinem Unglück wirklich war.«
Er konnte mit seinem Erfolge zufrieden sein und verblieb im Salon. Zum ersten Male war er aufmerksam gegen die Herrin des Hauses. Auch gab er sich die größte Mühe, die anwesenden Herren gesprächig zu machen und die Unterhaltung im Fluß zu erhalten.
Seine
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