Rot und Schwarz
hingegangen waren und nicht mehr gehört werden konnten, sagte Geronimo: »Wissen Sie, wie sich die Sache verhält? Der Posthalter ist ein Spitzbube. Als ich vorhin durchs Dorf ging, habe ich einem Gassenbengel fünf Groschen gegeben. Da hat er mir die ganze Geschichte verraten. Am andern Dorfende, in irgendeinem Bauernstall, stehen zwölf Gäule. Offenbar will man irgendeinen Kurier nicht weiterlassen.«
»So, so!« meinte Julian und tat, als wüßte er nichts.
Mit der Entdeckung der Schwindelei war aber noch nichts erreicht. Es kam darauf an, weiterzureisen. Dies aber wollte Geronimo und Julian nicht gelingen. Schließlich meinte der Sänger: »Warten wir bis morgen! Man mißtraut uns. Vielleicht hat man es auf einen von uns beiden abgesehen. Wissen Sie, morgen früh bestellen wir uns ein gutes Frühstück. Während man es bereitet, machen wir einen Spaziergang, mieten uns Pferde und reiten nach der nächsten Poststation...«
»Und Ihr Gepäck?« fragte Julian. Es kam ihm in den Sinn, daß man am Ende gar Geronimo damit betraut habe, ihn abzufangen.
Es war Zeit zum Abendessen.
Darnach gingen sie zur Ruhe.
Julian lag noch im ersten Schlafe, als er auf einmal durch Stimmengeflüster aufgeweckt wurde. Es waren zwei Personen in seinem Zimmer, die ziemlich ungeniert miteinander sprachen.
Er erkannte den Postmeister, der eine Blendlaterne in den Händen hielt. Der Lichtschein fiel auf den Reisekoffer, den Julian ins Zimmer hatte bringen lassen. Neben dem Posthalter stand ein Mann, der den offenen Koffer in aller Ruhe durchsuchte. Julian vermochte nur die engen Ärmel seines schwarzen Rockes zu erkennen.
»Das ist eine Soutane«, sagte er sich, indem er behutsam nach den Taschenpistolen tastete, die er unter dem Kopfkissen hatte.
»Haben Sie keine Angst, Herr Pfarrer!« beteuerte der Postmeister. »Er wacht nicht auf. Ich hab ihm das Zeug in den Wein gegossen, das Sie mir gegeben haben.«
»Ich finde keine Spur von Papieren«, sagte der Geistliche. »Eine Menge Wäsche, Parfüm, Kopfwasser und allerhand Krimskrams. Das ist ein junger Lebemann, der nichts als sein Vergnügen im Kopfe hat. Der Bote wird eher der andere sein, der angebliche Italiener!«
Die beiden Personen näherten sich Julians Bett, um die Taschen seines Reiseanzuges zu durchsuchen. Er war in großer Versuchung, auf sie zu schießen wie auf Einbrecher. Aber das hätte die gefährlichsten Folgen gehabt. Er spürte die größte Lust dazu.
»Unsinn!« sagte er sich. »Ich wäre ein Narr! Ich setzte meine Mission aufs Spiel.«
Der Priester hatte Rock und Hosen durchschnüffelt und meinte: »Das ist kein Diplomat!«
Damit entfernte er sich vom Bette Julians – zu seinem Glücke.
»Wenn er mich anrührt, dann soll er was erleben!« schwur sich Julian. »Ich lasse mich nicht so einfach erdolchen...«
Der Priester wandte den Kopf. Julian öffnete ein wenig die Augen. Es war der Abbé Castanède! Die eine der beiden Stimmen war Julian von Anfang an bekannt vorgekommen.
Julian hatte maßlose Lust, die Welt von einem der gemeinsten Schurken zu befreien. Aber er sagte sich:
»Ich habe meine Mission zu erfüllen!«
Schließlich verließen die beiden Spione das Zimmer. Eine Viertelstunde später tat Julian, als sei er eben aufgewacht, und alarmierte das ganze Haus.
»Man hat mir Gift gegeben!« rief er laut. »Ich habe schreckliche Schmerzen!«
Er wollte einen Vorwand haben, um Geronimo zu Hilfe zu kommen. Er fand ihn halbtot von dem Opium im Weine.
Julian war auf derartige Scherze gefaßt gewesen. Deshalb hatte er seinen Wein nicht getrunken. Es gelang ihm nicht, den Sänger munter zu bekommen. Vom Weiterreisen wollte der gleich gar nichts wissen.
»Und wenn man mir das ganze Königreich Neapel böte«, erklärte Geronimo, »ich verzichtete nicht auf meinen himmlischen Schlummer.«
»Und die sieben regierenden Fürsten?« mahnte Julian.
»Die können warten!«
Julian fuhr allein ab und gelangte ohne weitere Zwischenfälle zu der hohen Persönlichkeit. Ein ganzer Vormittag ging ihm verloren, ohne daß er Audienz erlangen konnte. Glücklicherweise machte der Herzog gegen vier Uhr einen kleinen Spaziergang. Julian sah ihn zu Fuß weggehen und beeilte sich, ihn wie ein Bittsteller anzusprechen. Als er sich dem hohen Herrn auf zwei Schritte genähert hatte, zog er die Uhr des Marquis von La Mole und hielt sie so, daß dieser sie sehen mußte.
»Folgen Sie mir von weitem!« sagte der Fürst, ohne ihn anzusehen.
Nach einer Viertelstunde betrat
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