Rot und Schwarz
über dieses Ereignis zu halten. Der deutsche Bauer sah ihn verdutzt an, denn er verstand genug Französisch, um zu merken, daß der fremde Herr argen Unsinn vorbrachte. Julian freilich dachte himmelweit anders. Er betrachtete die Schönheit des jungen Mannes und bewunderte seine reiterliche Grazie.
»Welch ein Sonntagskind!« dachte er bei sich. »Wie tadellos seine Breeches sitzen und wie elegant sein Haarschnitt ist! Wenn ich so ausgesehen hätte, wäre Mathilde meiner Liebe nicht bereits nach drei Tagen überdrüssig geworden.«
Als der Fürst seinen Vortrag beendet hatte, sagte er zu Julian: »Sie sehen aus wie ein Trappist. Sie übertreiben den Grundsatz von der Würde, den ich Ihnen in London doziert habe. Eine trübsinnige Miene ist gegen den guten Ton. Man muß gelangweilt aussehen. Wenn man traurig aussieht, zeigt man damit, daß einem etwas fehlt, daß einem irgend etwas mißglückt ist. Das heißt: man zeigt sich inferior. Sehen Sie hingegen gelangweilt aus, so ist jeder, der vergeblich sucht, Sie für sich einzunehmen, der Inferiore. Begreifen Sie, wie stark Geringschätzung imponiert!«
Julian warf dem Bauern, der Mund und Ohren aufsperrte, einen Taler zu.
»Jetzt gefallen Sie mir schon wieder besser«, bemerkte der Fürst und setzte sein Pferd in Galopp. Julian folgte ihm in sinnloser Bewunderung. »Wenn ich so wäre wie Korasoff, dann hätte Mathilde nicht an Croisenois mehr Gefallen gefunden als an mir«, seufzte er. Aber wenn sein gesunder Menschenverstand auch Anstoß an den Albernheiten des Fürsten nahm, so verachtete er sich selber doch nur um so mehr, dieweil er ihn bewunderte und sich unglücklich fühlte, nicht auch so zu sein. Sein Widerwillen vor sich selbst war grenzenlos.
Dem Fürsten fiel Julians großer Trübsinn abermals auf. Als sie in Straßburg ankamen, fragte er ihn: »Verehrtester, haben Sie all Ihr Geld verloren, oder sind Sie in irgendeine kleine Schauspielerin verliebt?«
Die Russen ahmen die Sitten der Franzosen nach, sind ihnen dabei aber immer um fünfzig Jahre zurück. Im Jahre 1830 waren sie bei dem Zeitalter Ludwigs XV. angelangt.
Julian hätte beinahe geweint.
Plötzlich kam ihm der Gedanke: »Warum sollte ich diesen liebenswürdigen Menschen nicht um Rat fragen?«
»Sie haben leider recht, lieber Korasoff«, entgegnete er ihm. »Sie sehen mich hier in Straßburg nicht nur verliebt, sondern obendrein verlassen. Eine entzückende Frau in einer Stadt der Nachbarschaft hat mir nach drei Tagen der Leidenschaft den Laufpaß gegeben. Ich vermag mich nicht darein zu schicken. Ich gehe daran zugrunde.«
Er schilderte ihm Mathildens Charakter und Handlungsweise. Nur nannte er einen falschen Namen.
»Erzählen Sie nicht weiter!« sagte Korasoff. »Damit Sie Vertrauen zu Ihrem Arzt gewinnen, will ich Ihre Beichte ergänzen. Der Ehemann der jungen Frau erfreut sich eines enormen Vermögens ... oder noch wahrscheinlicher: sie gehört zum Hochadel. Auf irgend etwas ist sie offenbar außerordentlich stolz.«
Julian nickte stumm mit dem Kopfe. Sein Mut, sich auszusprechen, war dahin. Der Fürst fuhr fort: »Zunächst müssen Sie unverzüglich drei bittre Pillen schlucken. Nummer eins: Sie müssen die Dame – wie hieß sie doch gleich? – alle Tage aufsuchen ...«
»Frau von Dubois.«
»Ein scheußlicher Name!« meinte Korasoff lachend. »Aber, pardon, für Sie natürlich der herrlichste der Welt ... Es ist also unbedingt nötig, daß Sie Frau von Dubois Tag für Tag sehen. Dabei müssen Sie sich hüten, sich ihr kalt oder voller Groll zu zeigen. Nehmen Sie dies als Leitmotiv: Immer das Gegenteil von dem sein, was der Gegner erwartet! Benehmen Sie sich genauso wie acht Tage bevor Ihnen die Gunst Ihrer Dame zuteil ward!«
»Ach, damals war ich im vollen Gleichgewichte!« rief Julian trostlos. »Ich bildete mir ein, Mitleid mit ihr zu haben...«
»Der Schmetterling verbrennt sich am Licht die Flügel«, fuhr Korasoff fort. »Dies Gleichnis ist so alt wie die Menschheit. Also, Nummer eins: Sie müssen sie alle Tage sehen. Nummer zwei: Sie müssen einer andern aus demselben Gesellschaftskreise den Hof machen, aber wohlgemerkt, ohne dabei Leidenschaft an den Tag zu legen. Ich verhehle Ihnen nicht, daß Ihre Rolle nicht leicht ist. Sie spielen Komödie. Aber sobald man durchschaut, daß Sie nur ein Spiel treiben, haben Sie verloren.«
»Sie ist ungemein klug, und ich gar nicht«, seufzte Julian.
»Durchaus nicht. Nur sind Sie verliebter, als ich dachte. Frau von Dubois
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