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Rot und Schwarz

Titel: Rot und Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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gräßliche Komödie an ihrem Groll abprallen? Oder verschafft sie mir eine flüchtige Versöhnung. Ich stürbe vor Glückseligkeit!«
    Es war ihm unmöglich, den Gedanken weiterzuspinnen. Als er nach vager Träumerei wieder die Vernunft zu Worte kommen ließ, sagte er sich: »Ich werde vielleicht einen Tag lang glücklich sein. Aber dann beginnt ihre Grausamkeit von neuem. Es muß so kommen. Denn ich bin nicht fähig, ihr auf die Dauer zu gefallen. Es winkt mir also keine Rettung. Ich gehe zugrunde. Rettungslos...
    Welche Gewähr kann sie mir bei ihrem Charakter bieten? Ach, ich bin ihr nicht elegant genug. Ich bin in meinen Reden zu plump und eintönig. Du mein Gott: warum bin ich so und nicht anders?«

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Neunundzwanzigstes Kapitel
Langeweile
Sich für seine Leidenschaften zu opfern, meinetwegen. Aber für Leidenschaften, die man gar nicht hat! O klägliches Jahrhundert!
    Girodet
    N achdem die Marschallin Julians lange Briefe zunächst ohne Vergnügen gelesen hatte, fand sie allmählich an ihnen Gefallen. Nur etwas bekümmerte sie. »Wie schade«, dachte sie, »daß Herr Sorel nicht richtiger Priester ist. Dann könnte ich ihn einer Art Seelenfreundschaft würdigen. So aber sieht er gar nicht aus wie ein Geistlicher und trägt sogar einen Orden, und man ist allerlei unangenehmen Fragen ausgesetzt. Was soll man dann immer antworten? Schließlich gilt er gar für einen Verwandten meines Vaters aus kleinen Verhältnissen.«
    Bis zu dem Augenblick, wo sie Julian kennengelernt hatte, war es ihr größtes Vergnügen gewesen, das Wort Marschallin vor ihrem Namen zu hören. Jetzt geriet ihre krankhafte und so leicht empfindliche Emporkömmlings-Eitelkeit in einen Kampf mit ihrer aufkeimenden Neigung.
    »Es wäre mir ein leichtes, ihn zum Großvikar in einer Diözese bei Paris zu machen. Wenn er nur nicht bloß Herr Sorel wäre und dazu Sekretär des Herrn von La Mole! Das ist trostlos.«
    Zum erstenmal in ihrem Leben wurde ihre überängstliche Seele von einem Gefühl ergriffen, das mit ihrer Sucht nach Rang und gesellschaftlicher Macht nichts zu tun hatte.
    Ihr alter Torwart bemerkte, daß der unzufriedene und zerstreute Ausdruck, den die Marschallin geflissentlich annahm, wenn einer ihrer Leute kam, jedesmal schwand, wenn er einen Brief von dem schönen jungen Manne brachte, der immer so traurig aussah.
    Ihre Lebensweise, deren Erfolge ihr im Grunde keine rechte Freude bereiteten, war lediglich auf Wirkung in der Gesellschaft berechnet. Mit der Zeit war sie griesgrämig und unleidlich geworden. Seit sie aber an Julian dachte, genügte eine mit dem sonderlichen jungen Mann verbrachte Abendstunde, und ihre Kammerjungfern hatten den ganzen folgenden Tag nicht wie sonst Quälereien zu erdulden. Julians wachsender Einfluß wurde nicht einmal durch heimtückische anonyme Briefe erschüttert. Umsonst versah Tanbeau die Herren Luz, Croisenois und Caylus mit geschickten Verleumdungen, die von ihnen mit großem Vergnügen weiterverbreitet wurden, ohne daß man sich über die Wahrheit der Anschuldigungen Gedanken machte. Die Marschallin, an und für sich nicht stark genug, solche grobe Machenschaften einfach zu übersehen, holte sich in ihrem Zweifel Rat bei Mathilde, von der sie immer wieder getröstet wurde.
    Eines Tages entschloß sich die Marschallin plötzlich, nachdem sie dreimal gefragt hatte, ob Briefe gekommen wären, Julian zu antworten. Das war ein Sieg der Langeweile. Als sie es das zweitemal tat, stockte sie mitten im Briefe. So unpassend erschien es ihr plötzlich, mit eigner Hand eine so gewöhnliche Adresse zu schreiben: »An Herrn Sorel, bei Herrn Marquis von La Mole.«
    Am Abend sagte sie trocknen Tones zu Julian: »Sie müssen mir Briefumschläge mit Ihrer Adresse bringen!«
    »Somit bin ich zum galanten Kammerdiener befördert«, dachte er und verneigte sich, wobei er ein Gesicht schnitt wie Arsen, der alte Kammerdiener des Marquis.
    Noch am selben Abend brachte er ihr die Briefumschläge, und früh am andern Morgen hatte er einen dritten Brief. Er las die fünf, sechs Anfangszeilen und zwei bis drei am Schluß. Es waren im ganzen vier eng und klein geschriebene Seiten.
    Nach und nach nahm Frau von Fervaques die ihr angenehme Gewohnheit an, ihm täglich zu schreiben. Julian antwortete durch getreue Abschriften der russischen Briefe, ohne daß sich die Marschallin über den geringen Zusammenhang der Antworten mit ihren Briefen irgendwie wunderte. Ein schwülstiger Stil hat also seine Vorteile. Wie arg wäre

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