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Rot und Schwarz

Titel: Rot und Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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langweilig wie der erste.
    Er war noch langweiliger. Was er da abschrieb, kam ihm so hirnverbrannt vor, dass er schließlich Zeile um Zeile kopierte, ohne an den Sinn zu denken. Das Zeug ist noch viel schwülstiger, sagte er sich, als die amtlichen Akten des Friedensvertrages von Münster, die mich einmal in London mein Lehrer der Diplomatie abschreiben hieß.
    Erst jetzt fielen ihm die Briefe der Frau de Fervaques ein, deren Originale er vergessen hatte dem gravitätischen Spanier Don Diego Bustos zurückzugeben. Er suchte sie, und sie waren tatsächlich beinahe ebenso verworren und abgeschmackt wie die Briefe des jungen Russen. Sie waren wirre Ergüsse ohne Hand und Fuß. Sie wollten alles sagen und waren doch gänzlich nichtssagend. Die reinste Äolsharfe punkto Stil, dachte Julien. Bei all diesen hochtrabenden Gedanken über das Nichts, den Tod, die Unendlichkeit und so fort sehe ich nichts Handgreifliches als eine erbärmliche Angst vor der Lächerlichkeit.
    Der Monolog, den wir hier abgekürzt wiedergeben, fand vierzehn Tage hintereinander allabendlich statt. Nacht um Nacht schlief Julian über der Abschrift einer Art Kommentars zur Apokalypse ein; regelmäßig gab er am folgenden Morgen seinen Brief mit melancholischer Miene ab und führte dann sein Pferd zum Stall, in der Hoffnung, Mathildens Silhouette zu erspähen. Er erledigte seine Arbeiten, und wenn die Marschallin nicht im Hause La Mole erschien, ging er abends in die Oper.
    Das waren die einförmigen Ereignisse seines jetzigen Lebens. Am unterhaltsamsten war es, wenn Frau von Fervaques zur Marquise kam. Dann konnte er unter ihrem Hut hinweg Mathildens Augen sehen. Dann löste sich seine Zunge. Seine romantische gefühlsselige Redeweise gewann allmählich Anmut und Eigenart.
    Wohl fühlte er, daß der Inhalt von dem, was er sagte, Mathilden töricht erscheinen mußte. Es sollte ihr wenigstens durch die Grazie der Form gefallen. »Um so unechter das ist, was ich sage, desto verführerischer muß es klingen«, schrieb er sich vor. Dabei verstieg er sich in die unerträglichste Manieriertheit. Übrigens hatte er erkannt, daß er, der Marschallin wegen, einfache und vernünftige Ideen meiden mußte. Sonst hätte sie ihn für einen Alltagsmenschen gehalten. Je nachdem er aus den Augen der einen oder der andern Grande-dame Erfolg oder Mißerfolg las, steigerte oder mäßigte er das Gaukelspiel seiner Reden.
    Alles in allem war sein Innenleben jetzt weniger qualvoll als damals, wo seine Tage in Untätigkeit hinschlichen.
    Eines Abends rekapitulierte er: »Da sitze ich nun und schreibe die fünfzehnte dieser abscheulichen Dissertationen ab. Die Nummern eins bis vierzehn hat die Marschallin vorschriftsmäßig durch ihren Torwart eingehändigt bekommen. Ich werde die Ehre haben, alle Schubfächer ihres Schreibtisches zu füllen. Und immer noch behandelt sie mich, als schriebe ich ihr gar nicht. Wohin soll das führen? Langweilt sie sich über diese Episteln vielleicht genauso wie ich mich? Korasoffs Freund, der Liebhaber der schönen Quäkerin von Richmond, ist unbedingt ein gräßlicher Kerl gewesen!«
    Wie alle mittelmäßigen Köpfe, die der Zufall den strategischen Operationen eines großen Heerführers beiwohnen läßt, verstand Julian nichts von der Angriffstaktik des jungen Russen gegen das Herz der schönen Engländerin. Die ersten vierzig Briefe waren zu nichts anderm geschrieben, als die Kühnheit verzeihlich zu machen, daß man überhaupt schrieb. Es war zunächst darauf angekommen, das träumerische junge Mädchen, das sich wahrscheinlich unendlich langweilte, daran zu gewöhnen, Briefe zu empfangen, die wohl immer noch weniger öde waren als ihr tagtägliches Dasein.
    Eines Morgens erhielt Julian einen Brief. Er erkannte das Wappen der Frau von Fervaques und erbrach das Siegel mit einer Lebhaftigkeit, die ihn selber überraschte. Der Brief enthielt nichts als eine Einladung zum Diner.
    Sofort zog er die Instruktion des Fürsten Korasoff zu Rate. Leider war der Russe gerade da, wo er hätte einfach und klar sein sollen, frivol im Stile Dorats, und so blieb sich Julian über sein Verhalten beim Diner der Marschallin im unsichern.
    Das Empfangszimmer war höchst prunkvoll, goldstrotzend wie die Diana-Galerie in den Tuilerien und mit großen Ölgemälden geschmückt. Julian nahm eigentümliche Flecken auf den Bildern wahr. Später erfuhr er, die Darstellungen wären der Hausherrin nicht dezent genug gewesen. Sie hatte sie anständig machen lassen.

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