Rot und Schwarz
Von einem Mädchen, um dessen Hand sich die Edelsten des Landes bewerben! Man darf nicht mehr mit der Vernunft rechnen. Die moderne Zeit wirft alles durcheinander. Wir gehen der Anarchie entgegen.«
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Vierunddreißigstes Kapitel
Ein geistvoller Mann
Während der Präfekt auf seinem Pferd dahinritt, sagte er: »Weshalb sollte ich nicht Minister, Ratspräsident, Herzog werden? So also werde ich Krieg führen... Auf solche Art setze ich alle Neuerer hinter Schloss und Riegel...«
Globe
D er Marquis hielt es nicht für vernünftig, zu grollen, konnte sich aber auch nicht entschließen, zu verzeihen. Manchmal seufzte er: »Wenn diesem Sorel doch ein tödlicher Unfall zustieße!« Seine trauernde Phantasie fand Trost darin, den törichtsten Hirngespinsten nachzuhängen. Sie vernichteten die Wirkung der klugen Ratschläge des Pfarrers Pirard. So verstrichen vier volle Wochen, ohne daß die Angelegenheit auch nur einen Schritt vorwärts gekommen wäre.
Es ging dem Marquis in dieser Familienangelegenheit wie in seiner Politik: er hatte glänzende Einfalle, die ihn drei Tage lang in Feuer und Flamme setzten. Dann aber mißfiel ihm sein Vorsatz wieder, und zwar weil die an und für sich trefflichen Gründe, auf die er sich stützte, seine Lieblingsidee nicht förderten. Voll Eifer und schöpferischer Begeisterung hatte er drei Tage lang daran gearbeitet, die Dinge bis zu einem gewissen Punkte zu bringen. Am vierten Tage dachte er nicht mehr daran.
Julian war anfangs über die Saumseligkeit des Marquis verstimmt, bis er nach einigen Wochen erkannte, daß der Marquis überhaupt keinen festen Plan hatte.
Frau von La Mole und das ganze Haus glaubten, Julian weile in Güterangelegenheiten in der Provinz. In Wirklichkeit hielt er sich im Pfarrhause des Abbé Pirard verborgen und traf fast jeden Tag mit Mathilde zusammen. Sie verbrachte jeden Vormittag eine Stunde in der Gesellschaft ihres Vaters, aber sie sprachen wochenlang nicht von der Sache, die sie doch beide so stark beschäftigte.
Eines Tages sagte der Marquis zu ihr: »Ich will nicht wissen, wo sich der Mann aufhält. Schicke ihm diesen Brief!«
Mathilde las:
»Meine Besitzungen im Languedoc haben 20600 Franken Jahresertrag. Davon sollen 10600 Franken meiner Tochter und 10000 Franken Herrn Julian Sorel zukommen. Die Besitzungen selbst schenke ich beiden. Teilen Sie dem Notar mit, daß er zwei getrennte Schenkungsurkunden hierüber aufsetzen und mir alsbald vorlegen soll. Damit hören alle Beziehungen zwischen uns auf.
Marquis von La Mole.«
Erfreut sagte Mathilde: »Ich danke dir tausendmal. Wir werden uns im Schloß Aiguillon seßhaft machen. Die Gegend soll so schön sein wie die Lombardei.«
Julian war ob dieser Schenkung über die Maßen überrascht. Mit einem Male hatten er und seine künftige Frau ein Jahreseinkommen von 30000 Franken. Seine herbe kalte Männlichkeit gewann Wärme. Das Schicksal seines Sohnes, der noch gar nicht auf der Welt war, erfüllte ihn mit Träumen. Das unerwartete, für einen bis dahin armen Menschen recht bedeutende Vermögen erweckte seinen Ehrgeiz.
Mathilde ging gänzlich auf in der Anbetung ihres Mannes; so nannte sie jetzt Julian voll Stolz. Ihr einziges hohes Ziel war die öffentliche Anerkennung ihrer Ehe. Daß ihr Schicksal sie an das eines höheren Menschen geknüpft hatte, erschien ihr als kluge große Tat. Zur Zeit hatte sie Vorliebe für das persönliche Verdienst.
Julians fast beständiges Fernsein, ihre verworrene Lage, die immer nur flüchtigen Augenblicke ihrer Liebesgespräche, alles das vervollständigte die Wirkung der klugen Politik, die Julian vordem geübt hatte. Schließlich wurde Mathilde ungeduldig, daß sie den Mann, den sie nunmehr wahrhaft liebte, so selten bei sich hatte. In einer schlechtlaunigen Stunde schrieb sie abermals an ihren Vater:
»Daß ich Julian den gesellschaftlichen Annehmlichkeiten vorgezogen habe, die der Tochter eines Marquis von La Mole gebühren, verleiht meiner Wahl genügend Gewicht. Die Freuden des Standes und der Eitelkeit sind für mich gleich Null. Es sind jetzt beinahe sechs Wochen her, daß ich von meinem Manne getrennt lebe. Damit habe ich Dir meine kindliche Ehrfurcht genugsam bewiesen. Nun verlasse ich das Elternhaus, und zwar noch vor dem nächsten Donnerstag. Deine Großmut hat uns reich gemacht. Mein Geheimnis kennt niemand mit Ausnahme des ehrwürdigen Pfarrers Pirard. Zu ihm gehe ich. Er wird uns trauen. Eine Stunde nach der Zeremonie werden wir auf dem Wege nach
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