Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Rot und Schwarz

Titel: Rot und Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
Vom Netzwerk:
Mensch...
    Julian trat an den Schreibtisch und kritzelte auf eine Karte:
    »Seit langem des Daseins überdrüssig, mache ich ihm ein Ende. Eure Exzellenz bitte ich ganz gehorsamst unter der Versicherung meiner unbegrenzbaren Dankbarkeit um gütige Nachsicht, wenn mein Tod einige Unannehmlichkeiten im Hause verursachen sollte.«
    Dem Marquis das Geschriebene reichend, erklärte er:
    »Wollen Eure Exzellenz die Güte haben, diese Karte zu lesen. Schießen Sie mich nieder oder lassen Sie dies durch Ihren Kammerdiener tun! Es ist ein Uhr nachts. Ich werde im Park an der Hintermauer auf und ab gehen...«
    Damit schritt er nach der Tür.
    »Scheren Sie sich zum Teufel!« rief ihm der Marquis nach.
    »Ich verstehe«, dachte Julian bei sich. »Es würde ihm nicht unangenehm sein, wenn ich mir selber eine Kugel vor den Kopf schösse ... Nein! Er soll es tun! Ich biete ihm diese Genugtuung... Aber, Gott verdamm' mich, ich liebe das Leben! Ich bin es meinem Sohne schuldig!«
    Jetzt erst trat ihm der Gedanke daran klar vor die Seele. Er dachte an nichts andres mehr, nachdem er in den ersten Augenblicken dem Gefühle der Gefahr Raum gegeben hatte. Dieses völlig neue Ziel stimmte ihn besonnen. »Ich bedarf eines guten Ratgebers, wenn ich mit diesem jähzornigen Manne fertig werden will. Er hat den Kopf verloren und ist zu allem fähig. Fouqué ist zu weit fort. Abgesehen davon ist es ihm unmöglich, ein Herz wie das des Marquis zu verstehen ... Graf Altamira? Bin ich aber seiner ewigen Verschwiegenheit sicher? Ich darf mich nicht noch tiefer ins Unglück reiten ... Ach, es bleibt mir niemand übrig als der trübselige Pfarrer Pirard ... Der Jansenismus hat seinen Gesichtskreis verengt ... Ein verschlagener Jesuit, der die Welt kennt, könnte mir hier besser helfen ... Pirard ist imstande, mich zu schlagen, wenn er nur den Namen meines Verbrechens hört...«
    Der Geist Tartüffs kam Julian zu Hilfe. »Die Sache ist ganz einfach! Ich gehe zu ihm zur Beichte!«
    Dies war das Endergebnis seines Hin- und Herüberlegens, nachdem er zwei Stunden lang im Garten auf und ab gegangen war. Daran, daß er erschossen werden könnte, dachte er nicht mehr. Todmüde suchte er sein Zimmer auf.
    Am andern Tage war er in der Morgenfrühe bereits mehrere Wegstunden zu Pferd vor Paris. Als er vor dem gestrengen Jansenisten stand, bemerkte er erstaunt, daß dieser durch sein Geständnis nicht besonders überrascht war.
    Eher bekümmert als erzürnt, meinte der Pfarrer: »Ich bin wohl selbst mit an der Sache schuld. Ich habe das so kommen sehen; aber aus Freundschaft für Sie Unglückskind habe ich es nicht über mich gebracht, den Vater zu warnen...«
    »Was wird er tun?« fragte Julian lebhaft.
    In diesem Augenblicke liebte er den Abbé. Eine heftige Auseinandersetzung wäre ihm schmerzlich gewesen.
    »Ich sehe drei Möglichkeiten«, fuhr er fort. »Erstens: der Marquis kann mich aus der Welt schaffen lassen...«
    Er erzählte von seinem Selbstmordbriefe, den er Herrn von La Mole zurückgelassen hatte.
    »Zweitens: mich durch Graf Norbert zum Duell fordern ...«
    »Würden Sie die Forderung annehmen?« unterbrach ihn Pirard, zornig aufstehend.
    »Lassen Sie mich ausreden, Herr Pfarrer! Selbstverständlich werde ich niemals auf den Sohn meines Wohltäters schießen ... Und drittens: kann er mich entfernen. Wenn er mir sagt: ›Gehen Sie nach New York!‹ so gehorche ich. Dann kann man den Zustand von Fräulein von La Mole geheimhalten. Niemals aber werde ich zugeben, daß man meinen Sohn beseitigt.«
    »Zweifellos wird das zunächst die Absicht des skrupellosen Mannes sein.«
    Währenddem befand sich Mathilde in Verzweiflung. Um sieben Uhr früh war sie bei ihrem Vater gewesen. Er hatte ihr Julians Zettel gezeigt. Sie war voller Bange, der Geliebte könne aus Edelmut Selbstmord begehen. »Und ohne meine Einwilligung!« Aus ihrem Schmerz sprach Zorn.
    »Wenn er tot ist, werde ich auch sterben!« erklärte sie ihrem Vater. »Du wärest an seinem Tode schuld. Und hättest wohl gar deine Freude daran. Aber das schwöre ich dir bei seinen Manen: Ich werde Trauerkleider tragen und mich vor aller Welt als verwitwete Frau Sorel bekennen. Ich werde Todesanzeigen verschicken. Des kannst du sicher sein. Du sollst mich nicht kleinmütig noch feige sehen!«
    Ihre Liebe grenzte an Wahnsinn. Herr von La Mole war sprachlos. Aber allmählich sah er die Dinge kaltblütiger an. Als sich Mathilde beim Frühstück nicht blicken ließ, fiel ihm ein Stein vom Herzen.

Weitere Kostenlose Bücher