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Rot und Schwarz

Titel: Rot und Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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dich heute abend in den Garten setzen. Dir ist nicht wohl, und die feuchte Luft wäre deinem Zustand geradezu schädlich!«
    Zu ihrem Erstaunen bemerkte Frau Derville, daß ihre Freundin, die sich sonst immerfort von ihrem Manne wegen ihrer übereinfachen Kleidung tadeln ließ, durchbrochene Strümpfe und allerliebste aus Paris bezogene Halbschuhe anzog. In den letzten drei Tagen war es Frau von Rênals einzige Zerstreuung gewesen, ein Sommerkleid aus hübschem, neumodischem Stoff zuzuschneiden und in aller Eile von Elise nähen zu lassen. Dieses Kleid war gerade fertig geworden. Ein paar Augenblicke nach Julians Rückkehr zog Frau von Rênal es auch schon an. Nun zweifelte die Freundin nicht mehr. »Sie ist verliebt, die Unglückselige!« sagte sie sich. Und mit einemmal wurden ihr alle die sonderbaren Merkmale ihrer Krankheit klar.
    Sie sah, wie Frau von Rênal mit Julian sprach. Blässe und dunkle Röte wechselten auf ihrem Gesicht ab. In ihren Augen, die an denen des jungen Hauslehrers hingen, spiegelte sich ihre heimliche Angst. Jeden Augenblick erwartete sie nämlich seine Erklärung, ob er bliebe oder das Haus verließe. Aber Julian sagte über diesen Punkt kein Wort. Daran dachte er überhaupt nicht. Nach einem gräßlichen inneren Kampfe faßte sie sich schließlich ein Herz und fragte ihn mit zitternder Stimme, die ihre ganze Leidenschaft verriet: »Werden Sie Ihre Zöglinge verlassen und anderswo eine Stellung annehmen?«
    Frau von Rênals unsichere Sprache und ihr wirrer Blick machten Julian stutzig. »Dieses Weib liebt mich!« sagte er sich. »Aber ihre augenblickliche Schwäche wird vorübergehen. Ihr Stolz wird ihr Vorwürfe machen, und wenn ihre Furcht, ich könne gehen, weg ist, ist ihr voller Hochmut wieder da.« Die Erkenntnis der beiderseitigen Lage durchfuhr Julian jäh wie ein Blitz. Überlegsam antwortete er ihr: »Es würde mir schwerfallen, so liebe Kinder aus so guter Familie verlassen zu sollen. Aber unter Umständen muß es sein. Man hat auch Pflichten gegen sich selber.«
    Den Ausdruck aus guter Familie hatte er in dem aristokratischen Hause oft gehört. Als er ihn jetzt selbst anwandte, überkam ihn das Gefühl tiefer Erbitterung. In den Augen dieser Dame, dachte er bei sich, bin ich nicht aus guter Familie.
    Während ihm Frau von Rênal zuhörte, bewunderte sie seine geistige Überlegenheit und seine Schönheit. Die Möglichkeit seines Wegganges verursachte ihr Herzeleid. Alle die Bekannten, die während seiner Abwesenheit zu Tisch nach Vergy gekommen waren, hatten ihr um die Wette Komplimente über den Wundermann gemacht, den ihr Gatte in seinem Glücke aufgegabelt hatte. Nicht, daß man von den Fortschritten der Kinder etwas wußte; die Tatsache, daß er die Bibel auswendig hersagen konnte, noch dazu lateinisch, hatte die Spießer von Verrières auf immerdar für ihn eingenommen.
    Julian, der mit keinem Menschen sprach, ahnte von alledem nichts. Wäre Frau von Rênal nur halbwegs im Besitze ihres klaren Verstandes gewesen, so hätte sie ihm über seine Berühmtheit eine kleine Schmeichelei gesagt. Das hätte ihn eitel gemacht, und er wäre gütig und liebenswürdig gegen sie gewesen, zumal er ihr neues Kleid reizend fand.
    Dies Kleid gefiel Frau von Rênal selbst, und so war sie mit dem wenigen zufrieden, was Julian ihr darüber sagte. Sie schlug einen Rundgang durch den Garten vor. Nach einer Weile machte sie das Geständnis, es sei ihr unmöglich, weiterzugehen. Sie hatte den Arm des Wiedergekehrten genommen, aber die Berührung mit Julian war ihr keine Stütze. Im Gegenteil: sie nahm ihr die letzte Kraft.
    Es ward Nacht. Kaum saß man, als Julian von seinem alten Rechte Gebrauch zu machen wagte: Er drückte seine Lippen auf den Arm seiner schönen Nachbarin und nahm ihre Hand. Dabei dachte er an die Libertinage, die sich Fouqué bei seiner Liebsten erlaubt hatte. An Frau von Rênal dachte er nicht. Die Worte aus guter Familie lasteten noch auf seinem Gemüt.
    Der Händedruck ward erwidert, aber dies bereitete ihm kein Vergnügen. Anstatt stolz auf die Zuneigung zu sein, die Frau von Rênal an diesem Abend kaum verhehlte, oder wenigstens dafür dankbar, blieb er beinahe unempfindlich gegen ihre Schönheit, ihre Eleganz, ihre Frische. Ohne Zweifel verlängern Seelenadel und Unberührtheit von jedwedem Bösen die Jugendlichkeit. Bei den meisten hübschen Frauen altert das Gesicht zuerst. Frau von Rênal war jung geblieben.
    Julian war den ganzen Abend mürrisch. Bisher hatte er nur

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