Rot und Schwarz
Interesse der zu enteignenden Grundstücke war, wenn Herr von Moirod diesen Ehrendienst erhielt. Damit erleichterte man ihm die Anwartschaft auf den Posten des Vizebürgermeisters. An Moirods kirchlicher Gesinnung war nicht das geringste auszusetzen; die war über allen Zweifel erhaben. Aber er hatte noch nie auf einem Gaul gesessen. Er war ein Mann von sechsunddreißig Jahren und in jeglicher Beziehung ein Hasenfuß. Vor dem Herunterfallen fürchtete er sich genauso wie vor jeder sonstigen Lächerlichkeit.
Frühmorgens um fünf Uhr ließ ihn Herrn von Rênal zu sich bitten.
»Sie sehen, Herr von Moirod, ich hole Ihren Rat bereits ein, als hätten Sie schon den Posten, den Ihnen jeder Gutgesinnte wünscht. In unsrer Unglücksstadt kommt die Industrie bedenklich hoch. Die Liberalen werden Millionäre; sie trachten nach der Macht und wissen aus jedem Umstand gegen uns Waffen zu schmieden. Behalten wir das Wohl Seiner Majestät, der Monarchie und vor allem unsrer heiligen Kirche unentwegt im Auge... Sagen Sie mal, Verehrtester, wen könnte man am besten mit dem Kommando der Ehrenwache betrauen?«
Trotz seiner Heidenangst vor jedem Pferd nahm Moirod schließlich den Ehrenposten wie eine Märtyrerkrone an.
»Ich werde die Sache schon machen«, versicherte er dem Bürgermeister.
Man hatte gerade noch Zeit, die Uniformen instand zu setzen, die vor sieben Jahren gelegentlich des Durchzugs eines königlichen Prinzen angeschafft worden waren.
Um sieben Uhr früh kam Frau von Rênal mit den Kindern und dem Hauslehrer aus Vergy an. Sie fand ihren Salon voll von Damen der Liberalen, die von der Versöhnung der Parteien salbaderten und sie dringlichst baten, bei ihrem Gatten ein gutes Wort einzulegen, daß ihre Männer und Söhne zur Ehrenwache befohlen würden. Eine von ihnen behauptete: wenn ihr Mann nicht dazu käme, würde er aus Gram und Kummer Bankrott machen.
Frau von Rênal jagte die ganze Sippschaft zum Tempel hinaus. Sie hatte sichtlich besondre Gedanken. Julian war erstaunt, ja geradezu verstimmt, daß sie ihm nicht anvertraute, was sie so versonnen machte. Voll Bitternis sagte er sich: »Ich habe es immer gewußt. Vor dem Glück, den König in ihrem Hause zu empfangen, ist all ihre Liebe verflogen! Der Jahrmarktslärm benimmt ihr den Kopf. Sie wird mich erst dann wieder lieben, wenn die Ideen ihrer Kaste ihr Hirn nicht mehr verwirren.«
Und doch liebte er sie mehr denn je. »Welch Mirakel!« gestand er sich.
Die Tapezierer begannen sich im ganzen Hause breitzumachen. Lange lauerte Julian vergebens nach einer Gelegenheit, ihr ein paar Worte zu sagen. Endlich traf er sie, als sie gerade aus seinem Zimmer kam, einen seiner Röcke überm Arm. Sie waren allein. Er wollte sie anreden, aber sie entzog sich ihm, ohne ihn anzuhören. »Ich bin ein rechter Narr«, grollte er, »eine solche Frau zu lieben! Der Ehrgeiz macht sie genauso verrückt wie ihren Mann.«
In der Tat war sie es mehr denn er. Schon lange hegte sie den Herzenswunsch, ihren Julian, und sei es auch nur auf einen Tag, einmal nicht in seinem tristen schwarzen Rock zu sehen. Aus Angst, ihn zu kränken, wollte sie es ihm nur nicht gestehen. Mit wirklicher Verschmitztheit, wie man sie einer so natürlichen Frau gar nicht zutrauen sollte, verstand sie es, zuerst Herrn von Moirod und darauf den Landrat von Maugiron zu überreden, daß Julian mit in die Ehrenwache kam und somit fünf oder sechs reichen Fabrikantensöhnen vorgezogen wurde. Zwei von ihnen waren obendrein exemplarische Frömmler. Herr Valenod, der seine Kutsche ein paar schönen Damen zur Verfügung gestellt hatte, damit seine Normannen bewundert werden sollten, mußte eins dieser Prachttiere an Julian abtreten, den er doch ingrimmig haßte.
Nun fehlte nur noch die Uniform. Sämtliche andern Ehrengardisten hatten feine eigene oder geliehene kornblumenblaue Waffenröcke mit Stabsoffiziersepauletten, deren Silberfransen allerdings nicht mehr so glänzten wie vor sieben Jahren. Frau von Rênal wollte Julian in einer neuen Uniform sehen. Vier Tage waren wenig Zeit, um Waffenrock, Schulterklappen, Hut, Säbel und alles, was sonst zur Ausstaffierung eines Ehrengardisten gehört, aus Besançon kommen zu lassen. Sie hielt es für wunder wie klug, alle diese Dinge nicht in Verrières zu bestellen. Julian und die Stadt sollten überrascht werden.
Nachdem die Frage der Ehrenwache und der öffentlichen Stimmung erledigt war, mußte sich der Bürgermeister damit befassen, eine große kirchliche Feier in
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