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Rot und Schwarz

Titel: Rot und Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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Mienenwechsel rief ihn in die Wirklichkeit zurück, und er besaß Geistesgegenwart genug, das Gesagte zu widerrufen und der Aristokratin, die so dicht neben ihm auf der Rasenbank saß, vorzumachen, daß er damit lediglich Dinge wiederholt habe, die er auf seinem Ausflug ins Gebirge bei seinem Freund, dem Holzhändler, gehört hätte. Fouqué sei ein ruchloser Räsoneur.
    »Mein Gott, verkehren Sie doch nicht mehr mit solchen Leuten!« meinte sie, noch ein wenig im Tone der kühlen Zurückhaltung, die ihre vorherige Herzlichkeit so plötzlich verscheucht hatte.
    Frau von Rênals Stirnrunzeln, oder vielmehr sein Ärger über seine Unvorsichtigkeit, war der erste Schlag gegen Julians Traumwelt. »Luise ist lieb und gut«, sagte er sich. »Sie ist stark verliebt in mich. Aber sie ist im feindlichen Lager erzogen. Diese Aristokraten müssen ja Angst haben vor jedem herzhaften Mann, der eine gute Bildung, aber nicht genug Geld hat, Karriere zu machen. Was würde aus all den Adligen, wenn uns Plebejern die Möglichkeit gegeben wäre, mit gleichen Waffen auf den Kampf platz zu treten? Ich zum Beispiel, wenn ich Bürgermeister von Verrières wäre, ich, ein Idealist und ein redlicher Mensch (letzteres ist ja Rênal im Grunde auch!) ... ich wollte diese Spitzbuben bald an die Luft gesetzt haben, diesen Vikar, diesen Valenod und wie sie alle heißen! Die Gerechtigkeit sollte in Verrières triumphieren! Die geistigen Fähigkeiten dieser Leute würden mir keine Hindernisse bereiten. Das Pulver haben sie alle miteinander nicht erfunden!«
    Julians Glück war an diesem Tage nahe daran, beständig zu werden. Er brauchte nur offen und natürlich zu sein. Er hätte den Mut haben müssen, eine Schlacht zu liefern und dies auf der Stelle. Frau von Rênal war über Julians Rede zunächst betroffen, weil sie durch Mitglieder ihrer Gesellschaftsklasse oft hatte behaupten hören, das Emporkommen eines zweiten Robespierre wäre sehr wohl möglich, da so viele junge Leute aus den niederen Ständen viel zu viel Bildung hätten.
    Frau von Rênals Verhalten blieb kühl. Julian kam es sogar außerordentlich kühl vor. In Wirklichkeit gesellte sich zu ihrem Abscheu vor Julians rebellischen Worten der Kummer, ihm ungewollt etwas Häßliches gesagt zu haben. Dieses Unbehagen spiegelte sich in ihrem Gesicht, das so voll Sonne und Unschuld war, wenn sie sich glücklich und dem Alltag fern wähnte.
    Julian wagte sich nicht mehr recht in das weite Land seiner Träumereien. Nüchterner und nicht mehr so verliebt, hielt er es für besser, die Geliebte fortan nicht in ihrem Zimmer zu besuchen. Es sei vorsichtiger, wenn sie zu ihm käme. Wenn von den Dienstboten jemand sie nachts durch den Gang laufen sähe, so hätte sie ein Dutzend Möglichkeiten, sich herauszureden.
    Allerdings hatte diese Änderung ihre Schattenseiten. Julian hatte sich von Fouqué Bücher geliehen, die er sich als angehender Theologe unmöglich beim Buchhändler besorgen konnte. Er wagte sie nur des Nachts in die Hände zu nehmen. Deshalb wäre er manchmal froh gewesen, wenn ihn die Geliebte nicht mit ihrem Besuch gestört hätte; das heißt: vor der Episode im Obstgarten war er in Erwartung der Liebesstunde gar nicht fähig gewesen zu lesen.
    Er verdankte Frau von Rênal ein neues, gründlicheres Verständnis der Bücher. Er hatte den Mut gefunden, sie nach tausend Kleinigkeiten zu fragen, die nicht zu wissen den Horizont eines jungen Mannes, der nicht zur Gesellschaft gehört, arg beschränken, mag er noch so viel sogenannten gesunden Menschenverstand haben.
    Diese Erziehung durch die Liebe einer im übrigen unwissenden Dame war Julians Glück. Dadurch lernte er die Gesellschaft sehen, wie sie zur Zeit war. Die Zustände, wie sie einstmals waren, vor zweitausend Jahren oder auch nur vor sechzig Jahren, zur Zeit Voltaires und Ludwigs XV., hatten seinen Blick verschleiert. Zu seiner unsagbaren Freude fiel es ihm jetzt wie Schuppen von den Augen. Nun begriff er endlich, was in Verrières vorging.
    Im Vordergrunde der Ereignisse lag seit zwei Jahren ein Netz von Intrigen, das sich bis zum Regierungspräsidenten von Besançon hinsponn und in Paris vermöge eines Briefwechsels mit einer allmächtigen Persönlichkeit einen Rückhalt hatte. Es handelte sich darum, Herrn von Moirod, den größten Duckmäuser im ganzen Lande, in die Stelle des Vizebürgermeisters zu bringen. Sein Nebenbuhler bei der Wahl war ein steinreicher Fabrikant, der höchstens in die Stelle der zweiten Stütze des

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