Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Rot und Schwarz

Titel: Rot und Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
Vom Netzwerk:
keine Lust, vom Blitz erschlagen zu werden. Weiß ich, ob Gott Sie nicht niederschmettern will als einen Gottlosen, als einen Voltaire?«
    Julian knirschte vor Wut mit den Zähnen. Mit aufgerissenen Augen starrte er gen Himmel, den ein greller Blitz zerriß. »Wahrlich«, rief er aus, »wenn ich während des Sturmes schlafe, verdiene ich weggeschwemmt zu werden! Versuchen wir es mit einem andern Pedanten!«
    Es läutete zur Biblischen Geschichte beim Abbé Castanède.
    Die Bauernjungen, diese durch die Armut und Arbeit ihrer Väter belasteten Duckmäuser, wurden von Castanède belehrt, daß die ihnen so schreckliche Einrichtung, die weltliche Obrigkeit, wirkliche rechtmäßige Macht lediglich aus der Hand des Stellvertreters Christi auf Erden habe. Dabei dozierte der Abbé:
    »Zeigt euch der Gnade Seiner Heiligkeit würdig durch frommen gottgefälligen Lebenswandel! Seid gehorsam, seid ein Stab in der Hand des Papstes! Dann werdet ihr herrliche Stellen erhalten, wo ihr als Oberhaupt schaltet, aller Aufsicht ledig. Diese Stellen, von denen ihr nicht abgesetzt werden könnt, werden zum dritten Teile von der Regierung bezahlt; die beiden andern Drittel tragen die Gläubigen, die ihr euch durch euer Wort selber erzieht.«
    Nach dem Unterricht blieb Castanède im Hofe stehen. Seine Schüler umdrängten ihn im Kreise. Er redete von neuem:
    »Von einem Pfarrer kann man mit besonderem Recht sagen: Was der Mann wert ist, ist seine Stelle wert! Ich, der ich mit euch hier rede, ich habe aus eigener Anschauung Dorfgemeinden kennengelernt, wo sich der Pfarrer bei weitem besser stand als mancher Stadtgeistliche. Das Gehalt war gleich hoch, aber es kamen dazu gemästete Kapaune, Eier, frische Butter und tausend kleine Annehmlichkeiten. Auf dem Lande ist der Pfarrer unbestritten der erste Mann. Es findet kein Schmaus statt, wo er nicht zu Gaste geladen und gefeiert wird...«
    In dem Tone ging es weiter. Kaum war der Abbé in sein Zimmer hinaufgegangen, da teilten sich die Seminaristen in Gruppen. Julian gehörte zu keiner; man mied ihn wie ein räudiges Schaf.
    Man erzählte sich kleine Geschichten. Irgendein junger Priester, der erst vor einem Jahre die Weihen empfangen, hatte der Wirtschafterin eines alten Pfarrers insgeheim ein Kaninchen geschenkt. Daraufhin war er Vikar geworden. Als der Pfarrer ein paar Monate später plötzlich starb, übernahm er seine Stelle in dem reichen Kirchspiel.
    Einem andern war es geglückt, das Pfarramt in einem großen, sehr reichen Ort zu erhalten, weil er der tägliche Tischgenosse seines Vorgängers, eines alten gelähmten Pfarrers, gewesen war und ihm seine Hühnchen besonders geschickt zerlegt hatte.
    Wie in allen Berufen, überschätzten auch die Seminaristen die Bedeutung solcher kleiner Machenschaften, die sich fabelhaft anhören und phantastisch wirken.
    »An solchen Unterhaltungen sollte ich teilnehmen!« sagte sich Julian. Wenn man nicht von Bratwürsten und fetten Pfründen redete, schwatzte man über die weltliche Seite des geistlichen Berufes, so etwa über Rangstreitereien zwischen einem Bischof und einem Regierungspräsidenten, zwischen dem Bürgermeister und dem Pfarrer einer Stadt und über ähnliches. Julian bekam den Eindruck: ein zweiter Gott stehe über der Erde, aber ein weit fürchterlicherer und mächtigerer als der himmlische: der Papst. Leise und nur wenn man sicher war, daß es der Direktor nicht hörte, behauptete man: wenn sich der Papst nicht die Mühe gäbe, alle Regierungspräsidenten und alle Bürgermeister höchstselbst zu ernennen, so geschähe das nur, weil er diese Mühe dem König von Frankreich anvertraut habe, indem er ihn zum ältesten Sohn der Heiligen Römischen Kirche ernannt habe.
    Julian glaubte, diese Gespräche seien eine gute Gelegenheit, das Papstbuch von Maistre hervorzukramen, um sein Ansehen zu heben. In der Tat setzte er seine Kameraden in Erstaunen, aber wiederum nicht zu seinem Vorteil. Es mißfiel allgemein, daß er ihre Meinungen besser in Worte faßte als sie selber. Der alte Pfarrer Chélan war als Lehrer Julians ebenso unvorsichtig gewesen wie für sich persönlich. Er hatte ihn daran gewöhnt, sich klar auszudrücken und sich nicht durch Phrasen täuschen zu lassen. Er hatte es jedoch nicht für nötig erachtet, Julian zu sagen, daß freimütiges Urteil ein Verbrechen ist, solange man in der Welt nichts bedeutet. Denn jedwede Wahrheit erregt Anstoß.
    Julians kluge Reden wurden ihm also als weiteres Verbrechen vorgeworfen. Seine

Weitere Kostenlose Bücher