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Rot Weiß Tot

Titel: Rot Weiß Tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Salomon
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darin das Tonband?«
    Albin nickte. Eine polnische Kellnerin mit weiß gefärbtem Haar und runden Hüften stellte Apfeltorte mit Schlagsahne vor Sarah hin. Albin bestellte grünen Tee. »Willst du mitkommen und es anhören?«
    »Ich kann nicht«, sagte Sarah. »Mein Vater hat heute Geburtstag. Er wird neunundfünfzig. Wie war es bei Hanna Goldmann?«
    »Markovics hat sich in ihrer Liebe wie auf einem bequemen Sofa ausgeruht. Er hat ihr nichts gegeben. Er scheint ein Macho gewesen zu sein. Ein trivialer Typ. Sehr oberflächlich.«
    Sarah schien mit dieser Beschreibung unzufrieden, trotzdem wechselte sie das Thema. »Bei Frank Gregoritsch dürfte dieser Inspektor Bergmann Recht gehabt haben.«
    »Chefinspektor Bergmann«, sagte Albin. »Womit hatte er Recht?«
    »Gregoritsch dürfte tatsächlich ein schräger Vogel sein. Diesen Polizisten magst du, nicht wahr?«
    »Ich weiß es noch nicht.«
    »Du kannst dir ruhig gestatten, auch einmal einen Bullen zu mögen.«
    »Ich hatte Gregoritsch kurz am Telefon«, sagte Albin. »Er hörte sich griesgrämig und eitel an. Wie war er im Ferienlager?«
    »Das Lager befand sich in der Nähe des Neusiedler Sees und stand im Zeichen von Karl May. Es gab eine lebensgroße Old-Shatterhand-Statue und die Schüler wohnten in Blockhäusern.«
    Albins grüner Tee wurde gebracht. Er warf einen sehnsüchtigen Blick auf Sarahs Torte.
    »Gregoritsch war als Fanatiker bekannt«, fuhr Sarah fort. »Er residierte in einem mit Jugendliteratur voll gestopften Wohnwagen und behandelte die Bücher wie Bibeln. Kunst im Allgemeinen und Literatur im Besonderen seien eine Brücke in den Himmel, predigte er. Von Karl May und den anderen Klassikern redete er wie von Heiligen. Dabei war er sehr streng. Es gab ein originalgetreues Apachenzelt, in das er unfolgsame oder an Heimweh leidende Schüler bat. Wer sich zwischen den irdenen Gefäßen und Skalp-Attrappen seine Monologe anhören musste, hatte auch sonst keine Probleme mehr.«
    »Warum hat er die Lager wieder aufgegeben?«
    »Wegen der Ignoranz der Welt. Viele Kinder kannten Winnetou nur aus einer amerikanischen Fernsehserie. Dort agiert Winnetous Inkarnation, ein Bursche, der mit einem Ford Mustang und einem mit Silber beschlagenen Maschinengewehr in New York aufräumt. Der Rest von Gregoritschs Lagergästen dachte, Winnetou sei eine historische Persönlichkeit in der Art von Napoleon oder Winston Churchill gewesen. Gregoritsch nahm das persönlich.«
    »Hört sich wirklich schrullig an.«
    »Es kam zu einem Richtungsstreit mit seinem Partner, einem Verlagslektor, der die Lager zuerst nur nebenbei machte. Der wollte kommerzielle Themen wie Asterix und Obelix statt Kunst-Pathos. Gregoritschs Schmerzgrenze lag allerdings bei Erich Kästner.« »Jetzt ist Gregoritsch Verlagslektor.«
    »Und sein Partner betreibt die Lager hauptberuflich und allein.«
    »Mal sehen, wie es dazu gekommen ist.«
    »Vielleicht bringt es dich weiter.« Sarah stand auf. »Ich muss gehen. Möchtest du die Torte?«
    »Nein danke.«
    »Mein Vater würde es nicht verstehen, wenn ich unpünktlich wäre.«
    Der Klarinettist spielte noch immer Benny Goodman. Die Musik wurde eine Nuance lauter, als sich unten die Tür für Sarah öffnete. Zumindest bildete sich Albin das ein. Als sie außer Sichtweite war, aß er die Torte auf.
    An der Studiotür hing ein Zettel. Ein Interessent für die Trainingsgeräte war da gewesen. Auf dem Zettel stand eine Telefonnummer. Albin war nur halb erfreut. Mit dem Abtransport des letzten Gerätes lief sein Mietvertrag aus. Der Rückruf hatte also Zeit.
    Er setzte sich auf eines der vierzehn Ergo-Cycles, die sich am besten verkauften. Sie waren fast neu und hatten zwischen den Lenkerhörnern große Bildschirme zum Einstellen von Schwierigkeitsgraden und zum Programmieren von Ausdauertests. Dort nahm sich Albin die Abschrift des Tonbandes vor.
    Auf den sechs A4-Blättern standen drei bis vier Absätze, die jeweils mit einem Datum versehen und durch zwei Leerzeilen getrennt waren. Alle Notizen datierten zwischen dem fünften und zehnten September des Jahres von Markovics’ Verschwinden. Die ersten fünf Seiten zu lesen war wie einem Werbetexter über die Schulter zu blicken. Es handelte sich offenbar um eine rohe Ideensammlung zu dem von Hanna Goldmann erwähnten Auftrag zum Thema private Pensionsvorsorge.
    5. September, 20.30 Uhr. »Sie haben einmal gezwinkert und waren vierzig. Sie werden noch einmal zwinkern und sechzig sein.«
    5.       September,

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