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Rot Weiß Tot

Titel: Rot Weiß Tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Salomon
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wollen die Sache nur möglichst rasch hinter uns bringen. Morgen acht Uhr?«
    Albin war einverstanden. Sie legten auf.
    Hanna Goldmann betrachtete ihn interessiert. »War das die Frau von diesem verrückten Stern?«
    »Wie kommen Sie darauf?«
    »Nur so eine Eingebung. Macht mich das verdächtig?«
    Albin ging nicht darauf ein. »Haben Sie oft mit Markovics gestritten?«, erkundigte er sich.
    »Das würde mich wohl noch verdächtiger machen.«
    »Ich denke, wir sprechen auf einer anderen Ebene.«
    »Meinetwegen. Wir haben immer dann gestritten, wenn es um unsere angeblich nicht existierende Beziehung ging. Das war oft genug. Ich bekam immer Tobsuchtsanfälle und auch er schrie herum.«
    »Warum sind Sie bei ihm geblieben?«
    Sie lachte leise auf. »Manchmal ist er nach dem Essen auf dem Sofa eingeschlafen. Dann war ich stolz darauf, dass er sich bei mir wohl fühlte. Liebe macht bescheiden. Ich weiß nicht, wie viele Frauen erst hinterher bemerken, dass sie Idiotinnen waren.«
    »Haben Sie ihm inzwischen verziehen?«
    »Er hat sich geholt, was er brauchte, und bekommen, was er wollte. Wenn ich dafür dumm genug war, kann ich ihm das nicht vorwerfen. Vielleicht wollte ich mich sogar ausnützen lassen.«
    »Es muss hart gewesen sein.«
    Für einen Moment rang sie um Fassung. »Ich habe eine Katze«, sagte sie. »Eine fette Tigerkatze. Er hat sie oft geherzt und mit ihr gespielt. Manchmal hat er frische Leber für sie mitgebracht, obwohl sie die gar nicht mag. Ich habe das Tier beneidet.«
    Albin schwieg.
    »Ich erinnere mich an einen Ausflug nach Mödling«, erzählte Hanna Goldmann. »Wir haben grünen Veltliner getrunken und über sein Lieblingsthema, das Vergehen der Zeit, geredet. Es war Frühling und wir diskutierten über das Festhalten von Augenblicken. Schließlich hat er zwei Ansichtskarten gekauft. Eine hat er an mich geschickt und eine an sich. ›Zur Erinnerung an einen Moment‹, schrieb er darauf. Ich habe die Karte aufbewahrt wie ein Heiligtum, ehe ich sie bei seinem Verschwinden zerriss.«
    Albin fragte sich, was sein Ressortchef zu diesem Interview sagen würde. Er wollte es lieber gar nicht wissen.
    »Er war so«, sagte Hanna Goldmann. »Oberflächlich, meistens herzlos und immer feige, wenn es um Gefühle ging. Trotzdem hat er mich oft überrascht. Das und seine Qualitäten als Liebhaber haben mich süchtig gemacht.«
    Süchtig, dachte Albin, und das Wort setzte sich in seinem Kopf fest. Sucht war schlimm, wenn man den Zugang zu seinem Suchtmittel verlor. »Wissen Sie etwas über einen Ring?«, fragte er.
    »Welchen Ring meinen Sie?«
    »Einen Goldring mit sechs kleinen Smaragden.«
    Hanna Goldmann schüttelte den Kopf. »Was ist damit?«
    »Er wurde bei dem Toten gefunden. Von wem könnte er stammen?«
    »Ich weiß es nicht. In zwei Jahren kann viel geschehen.«
    »Wohin geht einer wie Markovics, wenn er untertaucht?«
    »Keine Ahnung. Er hat Wien selten verlassen. Jedenfalls weiß ich nichts davon.«
    Albin stand auf. »Seit wann kennen Sie Bruno Wagenschmied?«
    »Hoffentlich bringe ich Sie nicht auf falsche Gedanken«, sagte Hanna Goldmann und lächelte wieder so hell wie zu Beginn ihres Gespräches. »Ich kannte ihn schon vor Marko. Gefunkt hat es auf beiden Seiten erst kürzlich.«
    »Darf ich mir noch die Hände waschen?«
    Eine rote Straßenbahn der Linie 43 stand leer in der Schleife der Endstation. Die vorderste Tür stand offen, der Fahrer hatte einen Fuß auf das Trittbrett gestellt und rauchte. Es schien, als nehme auch der Mann in der dunkelblauen Straßenbahner-Uniform Abschied vom Sommer, der mit seinem letzten Hauch durch die Stadt wehte.
    Albin stieg in den Anhänger. Er fröstelte bei dem Gedanken an die bevorstehenden Wintermonate in Wien. Die Melancholie der Stadt sickerte dann durch die Risse in den Kellerfenstern, durch die eisernen Gitter der Gullys und aus den blinden, blassen Augen der allgegenwärtigen steinernen Statuen in die Atmosphäre. Wenn sie sich mit den Nebeln und der Kälte vermischte, war es, als würden selbst die Gäste der rauschenden Bälle nur vor einem einzigen Gedanken fliehen: dass sie alle in fünfzig Jahren auf dem Wiener Zentralfriedhof als Skelette in faulenden Holzsärgen unter der Erde liegen würden. Albin konnte diese Melancholie nicht genießen, woraus er gerne schloss, dass in seinen Adern kein Wiener Blut floss.
    Neben ihm klappte die automatische Tür zu. Vorne trat der Fahrer seine Zigarette aus und setzte sich hinter seinen Steuerknüppel.

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