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Rot Weiß Tot

Titel: Rot Weiß Tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Salomon
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auf ein Geschäft für Handschuhe, Schals und Krawatten umgerüstet. All diese kleinen und durchschaubaren Vorgänge beruhigten Albin.
    Was sollte er von diesem Tonband halten? Laut Chefinspektor Bergmann war die Kripo allen darin gegebenen Hinweisen ohne Ergebnis nachgegangen. Es war keine geheimnisvolle Frau mit einem Mordauftrag und kein Bote mit einem Handy entdeckt worden. Keine Spur von einer Affäre um brisante Unterlagen war aufgetaucht. Bergmann war nur auf das Hotelzimmer in Salzburg gestoßen, in dem er ebenfalls keinerlei Hinweise auf Markovics’ unglaubliche Geschichte gefunden hatte. Der Fall war bloß zu einer Fahndungssache erklärt worden. Das konnte nur bedeuten, dass die Polizei das Band für eine Fälschung gehalten hatte.
    Auf dem Rückweg zum Studio dachte Albin an die Muschelschalen, die Markovics als Junge in der Hoffnung auf die Verwirrung künftiger Geschichtsforscher verstreut hatte. Jetzt war er, Albin Fischer, der Geschichtsforscher. Vielleicht war dieses Tonbandprotokoll eine von Markovics ausgestreute Muschelschale. Vielleicht wollte er damit von einem anderen, viel einfacheren Sachverhalt ablenken. Vielleicht würden ihm die Sterns oder Frank Gregoritsch weiterhelfen können.
    Nach dem Duschen tastete Albin mit geschlossenen Augen sein Gesicht nach Falten ab. Er wollte sich in Markovics hineindenken: »Die Zeit tut, was sie will. Manche Dinge vergehen so schnell, dass sie schon wie die Erinnerung an sich selbst auftauchen. Andere lassen so lange auf sich warten, dass die Hoffnung darauf zu einer Art Traurigkeit wird.« Das konnte Albin nachvollziehen. Doch wenn er seine Stirn nicht absichtlich runzelte, spürte er mit seinen Fingerspitzen keine Falten, sondern nur glatte Haut.
    In der Kammer für Dehnungsübungen bügelte er ein Hemd und polierte seine Schuhe für den nächsten Tag. Er würde seiner Jugend niemals nachtrauern, dachte er dabei. Er war wie der Wind, und der hatte kein Alter.
    Die Sterns wohnten in einem wuchtigen dunkelroten Haus mit einem schweren Tor aus massiver Eiche. Es lag in einer Seitengasse des Rennweges nahe dem Schloss Belvedere zwischen internationalen Botschaften mit Fahnen und Kameraaugen über den Eingängen. An den Ecken grüßten bewaffnete Wächter, wenn dunkle Limousinen passierten.
    Albin drückte den Klingelknopf aus Messing. Edith Sterns Stimme schnarrte gleich darauf durch die Sprechanlage, als hätte sie daneben gewartet. Sie verzichtete auch auf eine Begrüßung. »Nehmen Sie im Hof die zweite Tür links und kommen Sie ins Dachgeschoss.«
    Albin durchquerte ein imperiales Stiegenhaus und gelangte am anderen Ende in einen von Efeu umrankten Innenhof. Ein Stapel Buchenscheite lehnte dort an der Wand. Unter einem riesigen Ginkgo parkten ein silbergrauer Lotus und ein dunkelblaues Saab-Cabrio mit weißen Ledersitzen. Albin machte freundliche Laute in Richtung einer Siamkatze auf dem Brennholz. Edith Stern wartete in der Wohnungstür auf ihn. Albin war sieben Minuten zu spät. »Danke, dass Sie sich so früh Zeit nehmen«, sagte er.
    Edith Stern war eine groß gewachsene Frau mit vorspringenden Wangenknochen und einer Adlernase in ihrem strengen Gesicht. Ihr schwarzes Haar mit den weißen Strähnen stand in straffen Wellen seitlich weg. Ihr hellgrauer Hosenanzug war für den Morgen zu vornehm. »Kommen Sie weiter«, sagte sie.
    Um wabert von ihrer herben Duftwolke folgte ihr Albin in die Tiefen der Wohnung. Sie gingen an einer geräumigen Küche vorbei, deren schlichte Holzmöbel an einen alten Landsitz erinnerten. Albin zählte mindestens acht Zimmer mit mächtigen doppelflügeligen Türen und drei Bäder. Er fragte sich, was aus der Luxusabsteige würde, wenn die Sterns als Mörder ins Gefängnis gingen.
    »Ihr Mann scheint auf die richtige Idee gesetzt zu haben«, sagte er unterwegs. »Sie leben gut.«
    »Dieses Haus gehörte schon meinen Urgroßeltern.«
    »Dann arbeitet er nur noch aus Leidenschaft?«
    »Mit etwas Vermögen die Hände in den Schoß zu legen ist der Traum von Unvermögenden«, sagte Edith Stern verächtlich.
    Sie betraten einen kleineren Raum mit Fenstern nach drei Seiten und einer Terrassentür. »Das ist das Arbeitszimmer meines Mannes«, erklärte sie.
    Albin fragte sich, wozu ein Mann wie Stern, dessen Aufgabe im Repetieren eines einzigen Satzes bestand, ein Arbeitszimmer brauchte. Es sah auch nicht nach Schwerarbeit aus: Auf einem Biedermeier-Schreibtisch stand ein vorsintflutlicher 486er Computer. Auf einem Zeitungsstapel

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