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Rot Weiß Tot

Titel: Rot Weiß Tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Salomon
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Die Straßenbahn fuhr mit einem Ruckeln an. Ein junger Vater mit zwei bunt gekleideten Kindern und einem Dalmatiner-Mischling hechtete auf die abfahrende Tram zu und presste seinen Daumen auf den Türknopf. Die kleine Familie hatte keine Chance. Mit einem weiteren Ruckeln fuhr die Straßenbahn endgültig ab. Albin empfand einen Hauch von Schadenfreude. Vielleicht, dachte er, war er doch ein richtiger Wiener.
    Er rief Sarah an. »Wie geht es dir?«
    »Was hast du mit dem Ring gemacht?«
    »Die Polizei hat ihn. Alles ist in Ordnung.«
    »Dieser Damian Bergmann?«
    »Genau.«
    »Wie hast du es erklärt?«
    »Gar nicht. Er wollte den Ring und hat ihn bekommen.“
    »Und du?«
    »Ich habe das Tonbandprotokoll von Ronald Markovics’ erstem Verschwinden.«
    »Du hast ein Geschäft gemacht?«
    »So könnte man es nennen. Eben war ich bei Hanna Goldmann. Alles in allem habe ich jetzt ein klares Bild von dem Mordopfer.«
    »Was ist auf dem Tonband?«
    »Ich habe es noch nicht gehört.«
    »Was sagt Hanna Goldmann?«
    »Ich erzähle es dir, wenn wir uns treffen.«
    »Ich muss dir auch etwas erzählen. Eine Kusine von mir kennt diesen Frank Gregoritsch. Er hat früher diese Ferienlager organisiert. Sie war in einem davon.«
    Sie verabredeten sich im ersten Stock des Café Europa am Graben, Sarahs Lieblingskaffeehaus. Albin bummelte mit dem 43er bis zum Schottentor, fuhr mit der U 2 bis zum Volkstheater und von dort mit der U 3 zum Stephansplatz. Unterwegs erinnerte er sich daran, wie er Sarah kennen gelernt hatte: Sie war mit ihrer Klasse anlässlich einer Schulexkursion bei seiner letzten Gerichtsverhandlung erschienen.
    Sarah war ihm nicht aufgefallen. Sein Blick war an jenem Tag verschwommen gewesen. Seine Verurteilung wegen bewaffneten Raubüberfalls hatte bevorgestanden. Er hatte nur dunkel gewusst, dass er das Verbrechen nie so begangen hatte, wie es während der Verhandlung dargestellt worden war. Doch er war längst zu verwirrt gewesen, um sich noch eine Entscheidung darüber zuzutrauen, was wirklich war und was nicht.
    Er hatte nur die neugierigen Blicke der vierzehnjährigen Jungen und Mädchen bemerkt und dabei vor allem das Gefühl gehabt, mit seiner schwarzen Jacke aus Kunstleder und den altmodischen Röhrenjeans falsch gekleidet zu sein. Bei der Urteilsverkündung war die Klasse samt dem Saal um ihn verschwunden. Mildernde Umstände waren nicht anerkannt worden. Nicht einmal das.
    Sarah hatte ihn beim Verlassen des Gerichtsgebäudes gesehen. Sie war ihm auch da nicht aufgefallen. Er hatte sich nur auf den Verschmelzungsprozess seiner zu Brei werdenden Beine mit dem zu Treibsand werdenden Boden konzentriert. Er war dorthin unterwegs gewesen, wo es keine Mode, keine Schulklassen, keine Lehrer, keine Exkursionen und keine Mädchen mehr gegeben hatte, nur triste, kalte, brutale Einsamkeit.
    Sarah hatte ihn schließlich aus heiterem Himmel in Waldau besucht. Sie hatten sich an einem viereckigen Tisch in einem nackten Raum gegenübergesessen, in dem es nach Holzboden, nie mehr stillbaren Sehnsüchten und dem Deo des Aufsehers gerochen hatte. »Hallo«, hatte sie gesagt, »du kannst dich sicher nicht mehr an mich erinnern.«
    »Wer bist du?«
    »Sarah. Ich war bei der Gerichtsverhandlung.«
    »Warum bist du gekommen?«
    »Nur so.«
    Sie war danach wiedergekommen, hatte ihm Briefe geschrieben, ihn zur Mitarbeit bei der Anstaltszeitung und zur Externistenmatura gedrängt, ihn als Freigänger bei seinen ersten Schritten außerhalb der Gefängnismauern begleitet und ihn bei seiner endgültigen Entlassung im eleganten Jaguar ihres Vaters abgeholt.
    »Ich bin Koch«, hatte er gesagt, als er auf dem ledernen Beifahrersitz Platz genommen und das polierte Wurzelholz der Innenverkleidung betrachtet hatte.
    »Du bist Journalist«, hatte Sarah geantwortet.
    »Mit meiner Vergangenheit?«
    »Viele Leute würden es schick finden, eine Vergangenheit wie du zu haben.«
    Sarah wartete bereits in einem der hohen Ohrensessel des Café Europa auf ihn. Sie saß im oberen Geschoss an der Fensterseite und hatte eben einen Klarinettisten beobachtet, der unten in der Fußgängerzone Benny Goodman spielte. Albin ließ sich in den zweiten Sessel fallen. »Was für ein Tag«, sagte er.
    »Hast du viel zu tun?«
    »Ich befasse mich fast nur mit dem Mord. Ich habe schon ein schlechtes Gewissen wegen meines Jobs.«
    »Du recherchierst. Dafür wirst du bezahlt.«
    Sarah zeigte auf das Kuvert, das Albin seit dem Treffen mit Bergmann bei sich trug. »Ist

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