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Rot Weiß Tot

Titel: Rot Weiß Tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Salomon
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21.15 Uhr. »Ideen sind Sternschnuppen. Handeln Sie sofort, sonst bleibt Ihnen bestenfalls die Erinnerung an einen inspirierten Augenblick.«
    6.       September, 19.45 Uhr. »Schließen Sie die Augen und befühlen Sie Ihr Gesicht. Sie können Ihre Falten noch nicht mit den Fingerspitzen spüren. In ein paar Jahren werden Sie es können.«
    Albin stellte sich einen Mann vor, der abends vom Training heimkam, seine schwarze Jacke in der Garderobe seiner eleganten Wohnung deponierte, im Badezimmer seine Bauchmuskulatur befühlte und nahe an den Spiegel herantrat, um die Entwicklung der Falten rund um seine Augen zu betrachten.
    7.       September, 9.20 Uhr. »Früher haben Sie an den Stränden nach den Körpern schöner Frauen geschielt. Jetzt schielen Sie nach jenen alter Männer, um zu wissen, wie Sie nie aussehen möchten.«
    7.       September, 12.20 Uhr. »Sie sind vierzig geworden und haben es ertragen. Mit einundvierzig waren Sie entsetzt, dass die Zeit noch immer nicht stehen geblieben ist. Irgendwann werden Sie sechzig sein, und auch dann wird sie nicht stehen bleiben.«
    8.       September, 11.30 Uhr. »Die Zeit tut, was sie will. Manche Dinge vergehen so schnell, dass sie schon wie die Erinnerung an sich selbst auftauchen. Andere lassen so lange auf sich warten, dass die Hoffnung darauf zu einer Art Traurigkeit wird.«
    Hatte Markovics auf etwas gewartet? Hatte er ein Ziel gehabt, das ihn über sein triviales Dasein hinweggehoben hätte? Etwas, wovon er Hanna Goldmann nichts erzählt hatte? Vielleicht hatte ihn tatsächlich nur der Verlust der Jugend bedrückt. Einen Mann wie Markovics, der anscheinend nur beruflich tiefsinnig war, traf dieser Verlust sicher besonders hart.
    Doch nicht alle Aufzeichnungen handelten vom Altern. Einmal beschrieb Markovics eine Jugenderinnerung. Als Kind habe er gerne am Meer Muscheln gesammelt, um sie später im Wienerwald, in der Lobau oder an den Teichufern des Türkenschanz-Parks zu verstreuen. Er habe sich dabei mit dem Gedanken an Wissenschaftler vergnügt, die in ein paar tausend Jahren vielleicht eine ganz falsche Wirklichkeit rund um diese Muscheln konstruieren würden.
    Albin entdeckte auch die Szene mit dem Schwein, von der ihm Hanna Goldmann erzählt hatte. Sie war um zwei weitere Jahre älter als die anderen Aufzeichnungen und befand sich auf einem eigenen Blatt. Dem Kommentar der Kripo entnahm Albin, dass es an der Wand von Markovics’ Büro gefunden und als Beweismittel sichergestellt worden war. Auf der Kopie war ein schwarzer Punkt an der Stelle zu sehen, wo das Original mit einem Reißnagel befestigt worden war. Was es beweisen sollte, war dem Konvolut nicht zu entnehmen:
    27. Juli, 13.30 Uhr. »Ein Hotelstrand am Attersee. Ältere Ehepaare, ein paar Familien, eine Hand voll jüngerer Leute. Sonnenschirme, Liegestühle, eine Theke im Hintergrund. Alte Bäume, ein Holzsteg. Die Badegäste lesen, unterhalten sich gedämpft, einige hören Musik aus Kopfhörern, manche dösen. Das Wasser und der Himmel sind bis auf ein paar Fäden Hitzedunst blau. Es wird in den nächsten Tagen heiß bleiben. Draußen auf dem türkis-farbenen Wasser, dort, wo das Bild zu flimmern beginnt, treibt ein totes Schwein auf einer Luftmatratze. Die Kehle ist durchgeschnitten. Die Hufe hängen ins Wasser.«
     
    Die letzten beiden Blätter waren dicht beschrieben:
     
    3. Oktober, 4.15 Uhr: »Es ist saukalt. Bald graut der Morgen. Ich weiß, dass Ihr Tonbandgerät die Zeit anzeigt. Ich heiße Ronald Markovics. Ich kenne Sie nicht. Sie arbeiten für mich. Sie werden gleich abtippen, was ich jetzt sage. Es handelt sich diesmal nicht um Fiktion. Ich ersuche Sie, morgen in der Agentur anzurufen. Sollte ich gegen zehn Uhr nicht da sein, verständigen Sie die Polizei. Übergeben Sie ihr dieses Tonband. Ich bin vielleicht in Gefahr.«
    Im Fitnessstudio war es dunkel geworden. Albin schaltete das Licht nicht an. Er hatte jetzt keine Lust, quer durch die leeren Räume zu gehen. Er fühlte sich unbehaglich. Er wusste, dass sich dieses Gefühl beim Weiterlesen noch verstärken würde. Doch aufhören konnte er jetzt auch nicht mehr. Er wollte es lieber hinter sich bringen, ehe es ganz finster wurde. Also las er weiter.
    »Salzburg vor drei Wochen. Ein Auftrag für die Festwochen. Hotel Peter in der Getreidegasse. Ich glaube, es war ein Donnerstag. Das lässt sich in meiner Spesenabrechnung eruieren. Um 22 Uhr betrete ich das Zimmer. Es ist dunkel. Das Licht im Vorraum

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