Rot Weiß Tot
mit Interdental waren wir wegen der Tournee erst recht selten in Wien.«
»Obwohl er der beste Freund Ihres Mannes war?«
»Die Dinge sind relativer, als Sie denken. Als sich mein Mann als Künstler selbstständig machte, wurde Marko kühler. Beide hatten oft den Ausstieg geplant. Mein Mann wagte ihn, Marko blieb übrig. Es muss ein dummes Gefühl für ihn gewesen sein, als Ralf seinen Schreibtisch räumte und dann auch noch Erfolg hatte. Vielleicht beneidete er ihn und mied ihn deshalb.«
»So etwas zerstört eine Freundschaft nicht.«
»Marko lebte für seine Arbeit, seinen Alfa und seine Affären. In dieser Reihenfolge. Er hatte keine echten Freunde, insofern kann man sagen, dass mein Mann sein bester war. Ralf dagegen hatte immer mehrere Freunde, darunter auch wirklich gute.«
»Ich verstehe.«
Albin stellte sich mit Genuss vor, wie Edith Stern neben anderen Frauen in Sträflingskleidung im Gefängnisspeisesaal ihr Mittagessen löffelte. »Kennen Sie Frank Gregoritsch?«, fragte er.
»Wir haben ihn einmal getroffen. Der Mann war grobschlächtig, hat Wein wie Mineralwasser getrunken und uns bis zum Erbrechen erklärt, was einen guten Roman ausmacht. Marko fand es wohl faszinierend an Gregoritsch, dass ein Mensch noch egozentrischer als er selbst war.«
»Könnten Sie sich vorstellen, selbst einen Mord zu begehen?«
»Solche Dinge möchte ich nicht ausgerechnet mit Ihnen besprechen.«
Albin ging zur Tür. »Könnten Sie es sich vorstellen?«
»Vielleicht zur Verteidigung meiner Kinder«, sagte Edith Stern.
»Haben Sie Kinder?«
»Nein.«
Albin ging zur Tür. Ralf Stern erhob sich und folgte ihm. Edith Stern ließ sich erschöpft in den Sessel fallen, den ihr Mann gerade verlassen hatte.
»Verabschieden Sie mich bitte bei Ihrer Frau«, sagte Albin an der Wohnungstür.
Stern reagierte nicht.
Albin streckte ihm die Hand entgegen. »Auf Wiedersehen.«
»Interdental ist die beste Zahnpasta der Welt.«
Wieder im Hof, hörte Albin ein scharfes Kratzen. Die Siamkatze kam den Ginkgo herunter, als hätte sie Albin die ganze Zeit von der Terrasse aus beobachtet und wollte sich nun als einziges Familienmitglied mit Anstand verabschieden. »Schöne Katze«, murmelte Albin. »Braves Tier.«
Am Rennweg wartete er auf den 71er Richtung Schwarzenbergplatz. Der Wind trieb ein braunes Kastanienblatt vom Garten des Belvedere herüber. Albin spähte zum Himmel hinauf. Von Westen her schob sich eine schwere Wolkendecke über die Stadt. Es sah nach Regen aus. Ihn fröstelte. Das Sakko war zu leicht für den Tag. Auch die Stoffschuhe waren ein Fehler gewesen.
Die Straßenbahn ließ auf sich warten. Während Albin unruhig an der Haltestelle auf und ab ging, fuhren die Sterns in dem Saab-Cabrio aus dem Innenhof vorbei. Edith saß am Steuer. Der Beifahrersitz war weit nach hinten geklappt, als wollte ihr Mann ein Nickerchen halten. Die beiden waren ebenfalls auf dem Weg in die Innenstadt und übersahen Albin geflissentlich. Er war dankbar dafür.
»Der Chef sucht dich schon.« Während er das sagte, sah sich Daniel um, als könnte sich ihr Ressortleiter jeden Moment aus einem Versteck auf Albin stürzen.
Wortkarg startete Albin seinen Computer und löschte die meisten seiner neuen E-Mails ungelesen. Es waren gespreizte Pressemeldungen von Firmen, die niemand kannte und die Dinge taten, die niemanden interessierten.
Mit Daniel wählte er in der Fotoredaktion die Bilder für ihren Artikel aus. Zu Mittag kaufte sich Albin bei dem Jungen mit dem Wagen ein Sandwich mit Mozzarella, das trotz Tomaten und ganzen Basilikumblättern fade schmeckte. Um vier Uhr wollte er mit allem fertig sein, um sich in Ruhe Markovics’ einstigem Arbeitsplatz widmen zu können. Ganz so glatt lief es allerdings nicht. Vogel tauchte alle zehn Minuten mit Änderungswünschen auf. Am Ende wollte der Herausgeber alles wieder so haben, wie es am Anfang gewesen war.
Als Albin nach getaner Arbeit endlich auf die Straße trat, war es fast sieben Uhr. Der Stephansdom versteckte sich inzwischen hinter einer Nebelschliere. Der Asphalt war dunkel von einem feinen Nieseln. Ein Geruch nach Donau lag in der Luft. Die Agentur ID-Kommunikation konnte er für diesen Tag vergessen. Bloß seinen Termin bei Gregoritsch konnte er noch schaffen.
Der Lektor lebte in der Wohnanlage Wien West. Albin kannte die Siedlung, eine kleine Stadt in der Stadt. Die sich nach oben verjüngenden Gebäude mit den unzähligen begrünten Balkonen waren so etwas wie ein Wahrzeichen
Weitere Kostenlose Bücher