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Rot wie das Meer

Titel: Rot wie das Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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Das raue Gekrächz der Seeschwalben und der Lummen zwischen den Küstenfelsen, die durchdringenden, fragenden Schreie der Möwen über mir. Ich rieche Seetang und Fisch und den strengen Geruch der nistenden Vögel am Strand. Salz verkrustet meine Lippen, meine Wimpern. Ich spüre, wie sich die Kälte gegen meinen Körper drängt. Der Sand bewegt sich, als die Brandung ihn unter meinen Füßen hervorsaugt. Ich stehe ganz still. Die Sonne leuchtet rot hinter meinen geschlossenen Lidern. Der Ozean wird mich nicht von der Stelle bewegen, die Kälte mich nicht übermannen. Alles an mir ist genau so, wie es vor fünfhundert Jahren gewesen ist, als die Priester von Thisby ins kalte, dunkle Meer hinauswateten und sich der Insel mit Leib und Seele hingaben.
    Ich versuche, innerlich genauso ruhig zu werden wie äußerlich. Ich
    habe nicht mehr Sorgen als eine der Seemöwen, die über mir kreisen, und keinerlei Ziele, als diesen Moment zu überleben und dann den nächsten.
    Flüsternd bitte ich die See um drei Dinge. Einmal wünsche ich mir, dass Corr zahm und brav ist, damit sie ihn nicht mit den Glöckchen und all dem anderen Zauberkram quälen, den er so sehr hasst.
    Und zweimal wünsche ich mir, dass er unausstehlich sein wird, damit sie mich auf Knien anflehen zurückzukommen.

42
    Puck Die Insel ist dem Wahnsinn verfallen.
Nachdem ich Dove am Abend zuvor von Hastoway nach Hause geritten habe, gebe ich ihr den Vormittag frei und dränge sie, ihr teures Heu zu fressen. Außerdem streue ich ihr etwas von dem Kraftfutter hin – nicht viel, damit sie sich nicht daran überfrisst –, bevor ich sie allein lasse und mich auf den Weg zum Strand mache, um den anderen beim Training zuzusehen und mir Notizen zu machen. Es sind keine Novemberkuchen mehr übrig, und da wir nicht zu Hause waren, konnte ich nichts backen, also muss ich mich mit einer Tasche voll altbackener Kekse zufriedengeben.
    Es dauert nicht lange, bis mir auffällt, dass Thisby sich vollkommen verändert hat, nachdem das Fest vorbei ist und der Sturm sich wieder gelegt hat. Es scheint, als hätte der Wind neben den herumliegenden Dachziegeln und Ästen auch noch eine ganze Menge Menschen und Zelte herbeigeweht. Unzählige Stände und Tische säumen die Straße, die von Skarmouth geradewegs zu den Klippen führt. An der Stelle, wo ich Dory Maud geholfen habe, ihren Stand aufzubauen, ist eine Stadt von kleinen Verkaufsbuden emporgeschossen, in denen die Einheimischen den Touristen ihre Waren anpreisen. Ein paar von ihnen sind dieselben Händler, die Brian Carroll und ich schon am Abend des Fests gesehen haben. Andere dagegen sind neu: der Stand mit den Rennfarben, der mit den hastig hingeschmierten, schrecklich kitschigen Bildern der Favoriten des diesjährigen Rennens, der mit den Sitzmatten, mit denen man sich das Rennen von den Klippen aus ansehen kann, ohne einen nassen Hintern zu bekommen.
    Mich überkommt das beunruhigende Gefühl, dass bis zum Rennen nicht mehr viel Zeit ist. Mit einem Mal wird mir klar, dass Dove und ich uns schon in wenigen Tagen auf den Weg runter zum Strand machen müssen, und ich fühle mich vollkommen unvorbereitet. Ich habe keine Ahnung von all dem hier. Nicht einen Funken.
    Joseph Beringer rettet mich vor einem ausgewachsenen Panikschub, indem er hinter mir herumtanzt und ein ziemlich schlecht gereimtes und leicht anzügliches Lied über meine Chancen und mein Röckchen singt.
    »Ich trage noch nicht mal Röcke«, zische ich ihm zu.
    »In meinen Tagträumen jedenfalls nicht«, entgegnet er.
    Aus irgendeinem Grund hatte ich erwartet, meine Teilnahme am Skorpio-Rennen würde mir etwas mehr Respekt einbringen, aber es ist doch immer wieder erstaunlich, wie wenig die Dinge sich ändern.
    Ich ignoriere ihn und fühle mich damit schon ein bisschen besser, auch wenn es vielleicht nur an der Gewohnheit liegt. Dann bahne ich mir einen Weg durch die Menge zu Dory Mauds Stand, während ich, so gut es geht, versuche, Pfützen und Joseph auszuweichen. Selbst über all die Menschen hinweg, die zwischen den Buden umherstöbern, höre ich den Lärm, der vom Strand heraufdringt. Irgendetwas daran klingt anders als die normalen Trainingsgeräusche und ich bin mir nicht sicher, ob es nur daran liegt, dass sich jetzt, da das Rennen näher rückt, alle auf einmal am Strand drängeln.
    »Puck!« Dory Maud hat mich entdeckt, bevor ich sie entdecken konnte. Sie trägt eine festliche Kombination aus traditionellem Schal und Gummistiefeln, die absolut

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