Rot wie das Meer
schließlich, »dass ich recht beeindruckt von Sean Kendrick hier bin. In ihm scheinen Sie wirklich eine gute rechte Hand gefunden zu haben.«
Malverns Augen schweifen kurz zu mir und richten sich dann wieder auf Holly, die Brauen gehoben. »Wie ich hörte, haben Sie Anstrengungen unternommen, ihn abzuwerben.«
»Oh, ja, aber seine Loyalität ist zu groß«, winkt Holly ab. Das Lächeln, das er mir zuwirft, ist beinahe aggressiv aufrichtig. »Ein Jammer, wirklich. Sie behandeln ihn wohl einfach zu gut.«
Ein paar Schritte weiter blickt Mutt in meine Richtung, seine Augen sind schmal und ich sehe ihm an, dass ihm das Thema dieser Unterhaltung nicht entgangen ist.
»Mr Kendrick ist schon seit fast zehn Jahren bei uns«, sagt Malvern. »Seit sein Vater gestorben ist und ich ihn bei uns aufgenommen habe.«
Und mit diesen wenigen Worten zeichnet er das Bild eines armen Waisenjungen, der an seinem Küchentisch gesessen hat und Seite an Seite mit Mutt aufgezogen wurde, im Genuss all der Vorteile, die es mit sich bringt, ein Malvern zu sein.
»Also ist er praktisch so etwas wie Ihr Sohn«, ruft Holly. »Das erklärt natürlich die starke Bindung. Diese Pferde tragen alle seinen Fingerabdruck, meinen Sie nicht auch? Wenn Sie mich fragen, ist er der einzig wahre Erbe für den Malvern-Hof.«
Benjamin Malvern hat die ganze Zeit über seinen Sohn angestarrt, der seinen Blick erwidert, doch als Holly innehält, mustert Malvern kurz mich in meinem Anzug und schürzt die Lippen. »In vielen Punkten, Mr Holly, sehe ich das ganz genauso.« Er blickt wieder Mutt an und fügt hinzu: »In den allermeisten Punkten.«
Ich kann nicht glauben, dass er das ernst meint. Ich kann mir nur vorstellen, dass er irgendein Spiel mit Holly spielt. Oder es darauf anlegt, dass Mutt seine Worte hört, was definitiv der Fall ist.
Holly wechselt einen Blick mit mir und ich sehe ihm an, dass er genauso überrascht ist wie ich.
»Das Blut«, fügt Malvern dann hinzu und wendet sich von Mutt ab, »kommt leider nicht immer durch.« Nun sieht er mich an und plötzlich wird mir klar, dass ich niemals eine Ahnung hatte, was eigentlich hinter diesen listigen, tief liegenden Augen in seinem Kopf vor sich geht. Ich kenne ihn nicht im Geringsten, nur seine Pferde und mein kleines, kaltes Zimmer über dem Stallanbau. Ich weiß, dass ihm große Teile von Thisby gehören, aber nicht, welche. Ich weiß, dass er früher einmal geritten ist, es aber heute nicht mehr tut, und ich weiß, dass sein Sohn ein Bastard ist, aber nicht, ob dessen Mutter noch auf der Insel lebt. Ich weiß, dass ich immer wieder für ihn das Rennen gewinne und er jedes Jahr über neunzig Prozent der Gewinnsumme einstreicht, so wie er es bei jedem seiner Angestellten tun würde.
Malvern redet weiter. »Mr Kendrick wurde auf einem Pferd geboren und er wird auf einem sterben und so etwas lässt sich wahrscheinlich nicht heranzüchten. Er gehört zu den wenigen Männern, für die die Pferde sich gern anstrengen, ohne dass er ihnen jemals zu viel abverlangen muss. Wenn er Ihnen geraten hat, Ihr Geld in Mettle und Finndebar zu investieren, dann wären Sie ein Narr, wenn Sie es nicht tun würden. Guten Tag, Mr Holly.«
Malvern nickt Holly zu und marschiert davon. Als er weg ist, sagt Holly etwas zu mir, was ich nicht mitbekomme, weil ich Mutt anblicke. Bittere Abneigung und Unglauben stehen ihm ins Gesicht geschrieben. In diesem Moment ist es nicht wichtig, dass wir beide uns Malverns Worte verdient haben. Wichtig ist nur, dass sie unendlich verletzend waren.
Ich beobachte, wie sein Blick sich in etwas Furchterregendes verwandelt, während er meinen erwidert. Etwas Entschlossenes, Rücksichtsloses scheint sich in Mutt Malvern zu regen. Er drängt sich durch die Menge und verschwindet im Haus.
»Sean Kendrick«, sagt Holly. »Was denken Sie gerade?«
»Dass ich mich mit der ganzen Sache nicht besonders wohlfühle«, erwidere ich.
Holly blickt auf die Stelle, an der eben noch Mutt stand, und rät mir: »Wenn ich Sie wäre, würde ich heute Nacht meine Tür abschließen.«
50
Puck Am Morgen, bevor ich mich auf den Weg zum Training auf den Klippen mache, um dort vielleicht auch Sean zu treffen, statten Finn und ich Dory Maud einen Besuch ab – er auf seinem Fahrrad, ich auf Dove. In Wirklichkeit will Finn sie fragen, ob sie ein bisschen Arbeit für ihn hat, und ich gebe mich der verzweifelten Hoffnung hin, dass Dory ein paar Teekannen verkauft hat, denn wir haben zwar noch ein Stück Butter,
Weitere Kostenlose Bücher