Rot wie das Meer
sollen, ob dir was passiert ist?«
»Warum hätte mir was passiert sein sollen?«
»Puck, es ist mitten in der Nacht. Wo warst du? Ich dachte –!«
Langsam dämmert es mir. Das letzte Mal, als er mich gesehen hat, war, kurz bevor ich zur Beichte gegangen bin, und er muss mich schon sehr viel früher zurückerwartet haben.
»Tut mir leid«, sage ich.
Finn marschiert aufgebracht im Zimmer auf und ab und mir wird klar, dass er nur so viel geputzt hat, weil er sich solche Sorgen um mich gemacht hat.
»Das Haus sieht toll aus«, sage ich zögerlich.
»Klar tut es das«, faucht er zurück. »Ich hab's ja auch von oben bis unten geputzt! Ich wusste ja noch nicht mal, wann ich überhaupt davon erfahren hätte, wenn du tot gewesen wärst. Wer würde mir denn schon Bescheid sagen?«
»Tut mir leid, ich hab die Zeit vergessen. Der Abend ist an mir vorbeigerauscht.«
Das macht Finn nur noch wütender. So habe ich ihn noch nie gesehen. Er erinnert mich an meinen Vater an jenem Abend, als er erfuhr, dass meine Mutter einen Schimmelwallach von einem Bauern gekauft hatte. Er fegte durch die Zimmer wie ein wütender, lautloser Sturm, der in einem Haus gefangen ist, klammerte sich an Stuhllehnen und starrte an die Decke, bis Mum schließlich einwilligte, den Wallach wieder zu verkaufen.
»Die Zeit vergessen«, sagt Finn schließlich.
»Ich kann gern noch ein paarmal sagen, dass es mir leidtut, aber ich wüsste nicht, was das bringen soll.«
»Kein bisschen würde das bringen!«
»Was willst du dann von mir?« Bis vor einem Moment hatte ich tatsächlich ein schlechtes Gewissen, nun aber geht mir langsam die Geduld aus. Schließlich kann ich wohl kaum die Zeit zurückdrehen und die Vergangenheit ungeschehen machen.
Finn stützt sich auf die Lehne von Vaters Sessel und seine Fingerknöchel zeichnen sich weiß unter seiner Haut ab.
»Ich halte das nicht mehr aus«, sagt er und plötzlich sehe ich Gabe in ihm. »Ich halte es nicht mehr aus, nicht zu wissen, wie es weitergeht.«
Langsam gehe ich um den Sessel herum und hocke mich davor. Dann verschränke ich die Arme auf der Sitzfläche und sehe hoch in sein Gesicht. Ich weiß nicht, warum er so jung wirkt, ob es die Sorge ist, die sein wahres Alter verschleiert, oder ob es daran liegt, dass ich den ganzen Abend lang in Sean Kendricks Gesicht gesehen habe. »Es ist bald vorbei«, versuche ich ihn zu beruhigen. »Bald wird alles gut. Mir wird nichts passieren. Selbst wenn ich nicht gewinne, es wird alles wieder gut.«
Finns Blick ist leer und schrecklich und ich habe nicht das Gefühl, dass er mir glaubt.
»Puffin ist schließlich auch zurückgekommen, oder etwa nicht?«, füge ich schnell hinzu.
»Ja, mit einem halben Schwanz weniger. Aber du hast keinen Schwanz, den du erübrigen könntest.«
»Dafür hat Dove einen. Und durch das teure Futter würde der viel schneller nachwachsen als sonst.«
Ich bin nicht sicher, ob ihn das tröstet, aber wenigstens protestiert er nicht mehr. Später schleift er seine Matratze in mein Zimmer und schiebt sie dort an die Wand gegenüber meinem Bett. Ich muss an unsere Kindheit denken, als wir beide uns noch ein Zimmer mit Gabe teilten, bevor unser Vater einen Anbau an der Seite unseres Hauses errichtete, in dem er und Mum schlafen konnten.
Als das Licht aus ist, liegen wir beide eine Weile schweigend da. Dann fragt Finn: »Was hat Pfarrer Mooneyham dir auferlegt?«
»Zwei Ave-Marias und ein Columba.«
»Pah«, schnaubt Finn in der Dunkelheit. »Du hättest mehr verdient gehabt.«
»Das hab ich ihm auch zu erklären versucht.«
»Ich erklär's ihm noch mal, wenn ich morgen hingehe. Hast du sie schon aufgesagt?«
»Natürlich. Es waren ja nur zwei Ave-Marias und ein Columba.«
Finn raschelt in der Dunkelheit herum.
»Redest du immer noch im Schlaf?«, frage ich.
»Woher soll ich das wissen?«
»Wenn du es tust, kriegst du was an den Kopf geworfen.«
Finn dreht sich wieder um und boxt sein Kissen zurecht. »Ist ja nicht für immer. Nur bis es vorbei ist.«
»In Ordnung«, sage ich. Draußen vor dem Fenster sehe ich den Mond und er erinnert mich an Seans Finger auf meinem Handgelenk. Ich verstaue den Gedanken sorgfältig in meinem Kopf, um später darüber nachzudenken, wenn Finn aufgehört hat zu reden. Stattdessen denke ich, während ich auf den Schlaf warte, über das nach, was Finn gesagt hat – darüber, was passieren würde, wenn ich tot wäre. Dass er nicht wusste, wann er davon erfahren hätte und wer ihm überhaupt
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