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Rot wie das Meer

Titel: Rot wie das Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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Bescheid gesagt hätte. In dem Moment wird mir bewusst,
    dass ich mich nicht mehr daran erinnern kann, wie wir vom Tod unserer Eltern erfahren haben. Ich weiß noch, dass sie zusammen mit dem Boot rausgefahren sind, was äußerst selten vorkam, und dann wussten wir irgendwann einfach, dass sie tot waren. Ich kann mich nicht an das Gesicht desjenigen erinnern, der es uns gesagt hat, und noch nicht mal mehr an seine Worte. Die Augen fest geschlossen, liege ich da und versuche, mir den Moment wieder ins Gedächtnis zu rufen, aber alles, was ich sehe, sind Seans Gesicht und der Boden, der unter Corrs Hufen vorbeirast.
    Ich glaube, eine barmherzige Eigenschaft dieser Insel ist es, dass sie uns unsere bösen Erinnerungen früh wieder nimmt, uns dafür aber die guten lässt, solange wir wollen.

49
    Sean Der Morgen der Jungtierauktion bei Malvern verspricht einen ausnehmend schönen Tag, zu freundlich für Oktober. Ich habe nicht viel Schlaf bekommen, nachdem ich mich am Abend zuvor von Puck verabschiedet habe, darum gönne ich mir noch ein halbes Stündchen mehr, um mich für das zu stärken, was der Tag bereithält, dann ziehe ich mich an und gehe in den Hof hinunter. Heute Morgen werde ich Corr nicht reiten können und auch meine normale Stallarbeit muss warten. Das warme Wetter, das den Strand einigermaßen erträglich machen würde, wird an die Auktion verschwendet.
    Der Hof brummt vor Geschäftigkeit und ist voller Männer vom Festland, die schon um neun Uhr morgens Champagnergläser in der Hand halten und ihre Ehefrauen ignorieren, die alberne, für diese Witterung viel zu warme Pelze tragen. Immer wieder tönt ein Wiehern über all die Stimmen hinweg. Diese Touristen wirken vornehmer als diejenigen, die erst kurz vor dem Rennen anreisen, und scheinen mehr mit den Gentlemen im Hotel gemeinsam zu haben als mit den Einheimischen. Jeder einzelne Mann, der für Malvern arbeitet, ist heute im Einsatz; der Erlös dieser Auktion bringt den Stall über den Rest des Jahres.
    Ich habe den Hof vor noch nicht mal einer Minute betreten, als George Holly mich beim Ellbogen fasst. »Sean Kendrick. Ich dachte, Sie wären da draußen bei den Tieren.«
    »Heute nicht.« In Wahrheit wäre ich sogar lieber dort unten bei den Stallburschen und würde die Pferde in die Umzäunung führen, damit die Interessenten sie begutachten können. Stattdessen aber muss ich
    mich stets in Hörweite von Benjamin Malvern aufhalten, um, sobald er meinen Blick auffängt oder mit seinem Champagnerglas auf mich deutet, ein Loblied auf das Pferd zu singen, das gerade unter den Hammer kommen soll. »Ich verkaufe heute mich selbst, nicht die Tiere. Ich bin sozusagen das Maskottchen.«
    »Ach, daher der schicke Anzug. Ich hätte Sie beinahe nicht erkannt.«
    »Den habe ich schon mal für meine Beerdigung gekauft.«
    George Holly klopft mir auf den Rücken. »Dann planen Sie wohl entweder Ihre schlanke Linie zu halten oder jung zu sterben. So ein weiser Kopf auf so jungen Schultern. Wenn Ihre Kate Connolly Sie noch nicht in dieser Aufmachung gesehen hat, dann sollte sich das aber schleunigst ändern.«
    Ich habe meine Zweifel daran, dass ich Puck mit diesem Aufzug beeindrucken könnte, dem zur Vollendung nur noch die goldene Taschenuhr fehlt. Wenn sie diese Version von mir bevorzugen würde, wäre das in jedem Fall ungünstig. Ich lege eine Hand auf meine Weste und streiche die Knopfleiste glatt.
    »Es ist ein wahres Vergnügen, Sie verlegen zu sehen, Mr Kendrick«, lacht Holly. »Die Kleine scheint Ihnen ja regelrechte Qualen zu bereiten! Und jetzt sagen Sie mir, welche Pferde ich kaufen soll.«
    »Qualen« ist vielleicht nicht ganz das richtige Wort. Aber ich kann mich nicht konzentrieren. Ich sollte auf Corr sitzen, statt in diesem Anzug zu schwitzen. »Mettle und Finndebar«, erwidere ich.
    »Finn-deh-bahr? Das kann ich ja kaum aussprechen, geschweige denn es mir merken. Hat Malvern sie mir schon gezeigt?«
    »Wahrscheinlich nicht; sie ist eine Zuchtstute. Wird aber langsam ein bisschen alt, darum verkauft er sie.« Ich blicke gerade rechtzeitig auf, um zu sehen, wie Malvern mit einem Trupp potenzieller Käufer im Schlepptau den Hof überquert. Sie wirken entzückt über das Inselwetter und diese Inselrennpferde und ihren kuriosen Besitzer. Malvern erspäht mich und ich kann sehen, wie er meinen Standort für spätere verkaufsfördernde Maßnahmen abspeichert.
    Holly wechselt einen nicht allzu herzlichen Blick mit Malvern. »Ach so, nein, für die

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