Rot wie das Meer
aufgewachsen ist. Jemand, über den die Leute nicht lachen, wenn er sich am Strand blicken lässt. Es hat keinen Sinn. Ich habe einfach zu viele Sommersprossen. Ich binde mir den Pferdeschwanz neu.
Finn ist schon auf und steht in der Küche an der Spüle. Er trägt denselben Pullover wie gestern und sieht aus wie ein Mann, der über Nacht geschrumpft ist, während seine Klamotten gleich geblieben sind. Irgendwas riecht knusprig und leicht verkohlt, fast appetitlich, so wie Steak oder Toast, bis mir klar wird, dass es kein guter Geruch ist, sondern eher an verbranntes Papier oder angesengte Haare erinnert.
»Gabe schon auf?«, frage ich. Unbehaglich spähe ich in den Vorratsschrank, um Finn nicht ansehen zu müssen. Ich bin nicht sicher, ob ich reden will. Und nach meinem Blick in den Schrank bin ich mit einem Mal auch nicht mehr sicher, ob ich etwas essen will.
»Ist schon los zum Hotel«, sagt Finn. »Ich ... hier.« Er stellt einen Becher, in dem der Löffel von allein stehen bleibt, vor mir auf den Tisch. Die Seiten sind dermaßen mit irgendetwas Unidentifizierbarem verschmiert, dass ich schon an den Ring denke, den der Becher auf der Tischplatte hinterlassen wird, aber sein Inhalt dampft und ich vermute, dass es heiße Schokolade ist.
»Hast du die gemacht?«
Finn blickt mich an. »Nein. Der heilige Antonius hat sie heute Nacht vorbeigebracht. Er war ziemlich sauer, dass ich sie dir nicht gleich serviert habe.« Er dreht sich wieder um.
Ich bin völlig baff, zum einen über die Rückkehr von Finns Humor und zum anderen über die heiße Schokolade. Erst jetzt fällt mir das Durcheinander von Töpfen auf der Arbeitsplatte auf, die Finn offenbar allesamt gebraucht hat, um eine einzige Tasse Kakao zu destillieren. Außerdem bin ich jetzt sicher, dass der Geruch, der in der Luft hängt, von der angebrannten Milch auf der Herdplatte herrührt, aber nichts davon spielt eine Rolle angesichts der guten Absicht dahinter.
Aus irgendeinem Grund scheint mir plötzlich meine Unterlippe alles andere als fest, aber ich beiße entschlossen darauf, bis sie sich wieder beruhigt hat. Als Finn sich mit einer Tasse Tee mir gegenüber an den Tisch setzt, bin ich völlig gefasst.
»Danke«, sage ich und Finn senkt verlegen den Blick. Mum meinte immer, er sei wie eine Fee, denn die mögen es auch nicht, wenn man sich bei ihnen bedankt. »Tut mir leid«, füge ich hinzu.
»Ich hab Salz reingetan«, erklärt Finn, als würde diese Tatsache jeden Dank überflüssig machen.
Ich probiere die Schokolade. Sie ist gut. Wenn wirklich Salz darin ist, schmecke ich nichts davon zwischen den umherschwimmenden Inselchen aus halb aufgelöstem Kakao. In meinem Mund zerfallen sie zu durchaus angenehmen Pulverklümpchen. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass Finn jemals zuvor Kakao gemacht hätte; ich glaube, bisher hat er mir höchstens dabei zugesehen. »Ich schmecke gar nichts von dem Salz.«
»Salz«, erläutert Finn, »macht Kakao süßer.«
Diese Theorie erscheint mir ziemlich blödsinnig, denn wie bitte schön soll etwas Nichtsüßes irgendetwas süßer machen? Aber ich sage nichts dazu. Stattdessen rühre ich in meiner Schokolade und zerdrücke ein paar Kakaoklümpchen mit der Rückseite meines Löffels am Becherrand.
Finn merkt mir an, dass ich ihm nicht glaube, und sagt: »Geh und frag bei Palsson nach. Ich hab mal zugesehen, wie sie da ihre Schokomuffins machen. Mit Salz.«
»Ich hab doch gar nicht gesagt, dass ich dir nicht glaube! Ich hab überhaupt nichts gesagt.«
Er rührt ebenfalls in seiner Tasse. »Eben.«
Er fragt nicht, wie lange ich heute unterwegs sein werde oder wie ich mir ein Pferd für das Rennen beschaffen will oder irgendetwas über Gabe. Ich kann mich nicht entscheiden, ob ich froh sein soll, dass ich nicht darüber reden muss, oder wütend, weil er es nicht anspricht. Schweigend schlürfen wir den Rest unserer Getränke, und als
ich meinen Becher anschließend in die Spüle stelle, sage ich: »Ich werde wahrscheinlich den ganzen Tag unterwegs sein.«
Finn steht auf und stellt seine Tasse neben meine. Er sieht sehr ernst aus und ein bisschen wie eine Schildkröte, so wie sein dürrer Hals aus dem Kragen seines riesigen Pullovers ragt. Er deutet auf die Arbeitsplatte hinter mir. Mitten in dem Chaos aus Töpfen und Geschirr liegt ein zerteilter Apfel, an dessen Schnittkanten ein paar Brotkrümel kleben. »Für Dove. Und ich komme mit euch mit.«
»Du kannst nicht mitkommen«, widerspreche ich, ohne auch
Weitere Kostenlose Bücher