Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Rot wie das Meer

Titel: Rot wie das Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
Vom Netzwerk:
ist, was man nur tun kann. Haut an Haut, Herzschlag an Herzschlag, keinerlei Schutz, falls die Magie des Pferdes von einem Besitz ergreift.
    Ich will nicht allzu ehrfürchtig zu ihnen hinaufstarren und damit verraten, dass der Anblick der beiden so ziemlich alles übersteigt, was ich je gesehen habe, aber ich kann einfach nicht anders. Der rote Hengst ist so schnell, dass mir der Atem stockt und mein Herz vor Aufregung schneller schlägt. Ich dachte, die Pferde, die ich an meinem ersten Trainingstag gesehen habe, wären schnell gewesen, aber ich habe noch nie ein Pferd gesehen, das sich so bewegt wie dieses. Und Sean Kendrick auf seinem Rücken, ohne Sattel. Er ist ein Mistkerl, keine Frage, aber der alte Mann in der Fleischerei hatte recht: Irgendetwas an ihm ist anders. Er kennt sich mit Pferden aus wie niemand sonst, aber das ist noch nicht alles.
    Ich denke daran, wie sich sein Gesicht in meinen Händen angefühlt hat, als ich seinen Kopf aus dem Wasser gezogen habe.
    Außerdem denke ich darüber nach, was es wohl für ein Gefühl sein mag, ein Pferd wie dieses zu reiten. Schuldgefühle regen sich irgendwo in meiner Rippengegend, als mir Finn und seine Überzeugungen oder, besser gesagt, meine Überzeugungen wieder einfallen. Die anscheinend ins Wanken geraten sind, seit wir unser Haus zu verlieren drohen. Wenn mich die Vorstellung doch nur nicht so sehr belasten würde.
    Wir machen uns wieder auf den Weg die Klippe hinauf und Dove tänzelt unruhig bei jedem Schritt. Selbst wenn es bergauf geht, selbst nachdem sie seit Tagen ausgiebig bewegt wird, ist sie immer noch ganz wild darauf zu galoppieren. Dove schlägt mit ihrem Schweif und ich höre Finns Stimme wie ein Flüstern in meinem Ohr.
    Als ich die Spitze der Klippe erreiche, weiß ich, was ich Sean fragen werde.
    Sean Von Kate Connolly ist nichts zu sehen, als ich die Klippe erreiche, auch nicht, nachdem ich ein paar Minuten gewartet habe – Minuten, die ich nicht zu verschenken habe. Ich binde die braune Stute an, zeichne einen Kreis um sie auf den Boden und spucke hinein. Dann lasse ich Corr galoppieren. Wenn Kate nicht auftaucht, habe ich ihn wenigstens ein bisschen trainiert. Er ist ungeduldig und voller Tatendrang an diesem Morgen und genauso begierig wie ich auf die Bewegung.
    Um hier oben zu galoppieren, braucht man das Herz einer Möwe und Nerven wie ein Hai. Diese Klippe ist nicht so hoch wie die am Rennstrand, aber ein Sturz würde einen genauso das Leben kosten. Und für ein Capaill Uisce ist der Ruf des Meeres in dreißig Meter Höhe genauso unwiderstehlich wie dreißig Meter vom Wasser entfernt am Strand. Mehr als nur ein Mann ist schon über diese Klippe gegangen, zerschmettert auf den Felsen kurz vor dem Wasser.
    Aber genau hier, auf dieser niedrigen Klippe, hat mein Vater mich zum ersten Mal ein Capaill Uisce reiten lassen. Nicht an dem Strand, an dem er selbst es gelernt hat. Denn mein Vater hat die See sein Leben lang mehr gefürchtet als jede Höhe.
    Ich bin der Meinung, dass beides tödlich sein kann, was nicht dasselbe ist, wie Angst davor zu haben.
    Als wir kehrtmachen und Corr über das hohe Klippengras stakst, sehe ich Kate Connolly neben ihrer kleinen Falbstute stehen. Kates Haare haben dieselbe Farbe wie das Gras, wenn der Herbst es rötlich färbt, und sie hat Sommersprossen im Gesicht, die sie auf den ersten Blick viel jünger wirken lassen, als sie ist. Sie hat einen seltsamen Zauber an sich: Sie wirkt wie ein trotziges Kind und zugleich wie etwas Urwüchsiges, Wildes, etwas, was direkt aus der Erde dieser kargen Insel gesprossen ist. Sie betrachtet meine Sachen – meinen Sattel, den ich aufrecht auf den Boden gestellt habe, meinen Rucksack, meine Thermosflasche, die Glöckchen –, die ich dort zurückgelassen habe, und aus irgendeinem Grund fühle ich mich merkwürdig dabei, als wäre meine Haut wund gerieben vom sandigen Wind.
    Als Kate mich bemerkt, runzelt sie die Stirn oder kneift zumindest die Augen zusammen. Ich kenne sie nicht gut genug, um den Unterschied zu erkennen. Wieder beschleicht mich diese seltsame Unruhe, die ich in der Bucht verspürt habe. Wieder wird Fundamental unter Wasser gezogen und ich mit ihm. Aber jetzt ertrinke ich nicht; ich stoße den Atem aus.
    Corr wird durch die Anwesenheit der Stute angestachelt; statt langsamer zu werden und im Schritt weiterzugehen, trabt er beinahe auf der Stelle und zittert vor Aufregung. Ich wage mich nicht so nah heran, wie es die Höflichkeit gebieten würde, also rufe

Weitere Kostenlose Bücher