Rot wie das Meer

dem Zimmer.
    Ich blinzele ihm hinterher. »Was? Was?«
    Brüder müssen die rätselhafteste Spezies auf dem ganzen Planeten sein.
    Dory Maud fegt ein paar unsichtbare Krümel von ihrem Zettel und studiert ihre Schrift. »Jungs«, sagt sie schließlich, »sind einfach nicht besonders gut im Angsthaben.«

25
    Sean An diesem Abend sattle ich eine junge Stute namens Malvern Small Miracle, die so heißt, weil sie bei ihrer Geburt so reglos und still war, dass alle glaubten, sie sei tot.
    Ich bin müde und ausgelaugt. Irgendetwas stimmt mit meinem rechten Arm nicht, wo mich beim Frühtraining eins der Pferde gerammt hat, und ich will nur noch in mein Bett kriechen und darüber nachgrübeln, ob mein morgiges Treffen mit Kate Connolly eine schlechte Idee ist. Aber es sind zwei Käufer hier, ganz frisch vom Schiff, und man hat mir aufgetragen, ihnen zwei der Dreijährigen vorzuführen, solange es noch hell ist. Warum das nicht bis zum nächsten Tag warten kann, weiß ich nicht.
    Als ich auf den in goldenes Abendlicht getauchten Hof hinaustrete, sehe ich zu meinem Erstaunen, dass die andere Stute, ein Schimmel namens Sweeter, schon dort ist. Jemand sitzt auf ihrem Rücken. Es dauert nur eine halbe Sekunde, bis ich an seiner Silhouette erkenne, dass es Mutt Malvern ist, und mein Magen zieht sich grollend zusammen. Drei Männer stehen an der Schulter der Stute und blicken zu Mutt hoch. Er dreht seinen Kopf in meine Richtung, das Gesicht im Schatten, und ich weiß, er hat es darauf angelegt, dass ich ihn so sehe. Dass er zu denken scheint, es stehe ihm zu, Sweeter zu präsentieren, ist schon schlimm genug, doch als er auch noch einem der Käufer gegenüber beteuert, wie sehr er an dieser Stute hänge, muss ich wieder an den Nachmittag in der Bucht denken, daran, wie er auf dem Posten an der Mündung stand und darauf wartete, dass Fundamental unter Wasser gezogen wurde.
    Miracle ist voller Tatendrang. Sie hüpft seitwärts und stürmt über den Hof auf Mutt zu, so forsch, dass Sweeter zurückweicht. Unsere Schatten liegen blau unter uns.
    »Sean Kendrick«, sagt George Holly erfreut. Als sie meinen Namen hören, drehen sich auch die anderen beiden Käufer zu mir um und mustern mich. Ich erkenne keinen von ihnen. Vermutlich Neulinge.
    »Sean wird Ihnen jetzt die andere Stute vorführen«, erklärt Mutt und nickt mir gönnerhaft zu. Er lächelt. »Da ich selbst leider nicht zwei Pferde auf einmal reiten kann.«
    Ich bin nicht mal sicher, ob er ein Pferd auf einmal reiten kann. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich ihn das letzte Mal habe galoppieren sehen.
    Einer der Käufer flüstert dem anderen meinen Namen zu und Mutt lehnt sich zu ihnen hinunter und fragt: »Wie bitte?«
    »Kendrick. Der Name kommt mir bekannt vor.«
    Mutt blickt mich an.
    »Ich bin nur fürs Reiten zuständig«, sage ich.
    George Hollys Lächeln ist im Dämmerlicht kaum zu erkennen.
    »Reiten Sie auch bei dem Rennen mit?«, fragt einer der Käufer. Ich nicke.
    »Auf dem roten Hengst«, erklärt Holly. »Den Sie vorhin gesehen haben.«
    Die beiden murmeln anerkennend vor sich hin und fragen dann Mutt, welches Pferd er bei dem Rennen reitet.
    Mutts Kiefer versteifen sich. Ich glaube nicht, dass er sich auch nur an Edanas Namen erinnert. Er hat sie noch kein einziges Mal geritten.
    Ich weiß, dass dies der Moment wäre, in dem ich als Angestellter der Malverns hilfsbereit einspringen und Mutt aus der Patsche helfen sollte. Genau wie ich es schon fast mein gesamtes Leben lang getan habe, und ich spüre die Worte, die Mutt gut dastehen lassen würden, schon auf den Lippen. Worte, die den Kunden in Erinnerung rufen, an welcher Stelle ich in der Hierarchie des Malvern-Hofs stehe.
    Stattdessen aber sage ich: »Ich habe die braune Stute mit der Blesse für ihn ausgesucht, Edana. Ich glaube, die beiden passen gut zueinander.«
    Stille senkt sich über den Hof. Mutts Haltung strahlt etwas Hässliches, mühevoll Zurückgehaltenes aus, als er mir seinen Kopf zuwendet. Die Kunden wechseln Blicke und Holly wippt auf den Fersen auf und ab.
    Ich sehe, wie meine Worte sich unter Mutts Haut graben. Ich fühle mich ruchlos und gefährlich.
    Miracle scheut vor nichts Bestimmtem und tänzelt auf der Stelle. Ihre Hufe klappern und das Geräusch hallt von den Steinmauern wider. Ich drehe mich zu Mutt um, stelle mir vor, wie er an Fundamentals Stelle unter Wasser gezogen wird. Wie er zwischen Corrs Zähnen hängt. Wie er von Hufen niedergetrampelt wird und nicht mein Vater. »Es wird