Rot wie das Meer
ich aus fünf Metern Entfernung mit einem tänzelnden Corr unter mir über den Wind hinweg: »Wie soll ich dich nennen?«
»Was?«
»Ist dein Name Kate oder nicht?«, frage ich.
»Wie bitte?«
»Auf der Tafel bei Gratton steht ›Kate‹, aber so nennt dich Thomas Gratton nicht.«
»Puck«, erwidert sie und ihre Stimme klingt, als hätte sie Zitronensaft getrunken. »Das ist ein Spitzname. Manche Leute nennen mich so.« Sie bietet mir nicht an, es auch zu tun. Der Wind keucht in einer langen, flachen Bö um unsere Füße, drückt das Gras nieder und verfängt sich in den Mähnen der Pferde. Hier oben riecht es aus irgendeinem Grund stärker nach Fisch. Nach einer Weile fügt sie hinzu: »Ich dachte, woanders als am Strand zu trainieren, ist nicht erlaubt.«
Ich brauche einen Moment, bis ich verstehe, was sie gesagt hat, dann stelle ich richtig: »Nur nicht weiter als hundertfünfzig Meter von der Küste entfernt.«
Ihr Gesicht hellt sich plötzlich auf und einen Augenblick lang bin ich schlicht überflüssig – es gibt nur noch sie und ihre Erleuchtung. Ich sehe auf die Uhr.
»Wo ist das andere Pferd?«, will sie wissen. Ihre Stute versucht, an ihren Haaren zu kauen, aber Kate gibt ihr geistesabwesend einen
Klaps auf die Schulter. Das Pony reißt übertrieben empört den Kopf hoch. Es ist ein Spiel voll innigster Vertrautheit, das mir beide sympathischer macht.
»Ein Stück weiter landeinwärts.«
Kate beobachtet uns. »Ist der immer so?«
Corr steht keine Sekunde still und wölbt den Hals. Er muss völlig lächerlich wirken, so wie er sich vor den beiden aufplustert. Uisce- Hengste sehen Landpferde eher als Nahrung denn als Artgenossen an, manchmal aber kommt es trotzdem vor, dass ein Hengst sich in eine Stute verguckt und sich vor ihr komplett zum Affen macht.
»Die braune Stute ist noch schlimmer«, entgegne ich.
Kate verzieht das Gesicht zu etwas, was auf eine Spur von Humor hinweisen könnte.
»Wie ist sie so?«
»Sie ist launisch und hinterhältig und der Ozean ist ihre große Liebe«, erwidere ich. Ich habe sie während eines Unwetters gefangen, während das Salzwasser das Leder meines Zaumzeugs zu glitschig machte, um es festzuhalten, die Wolken den Himmel zu Meer machten und umgekehrt und meine Finger vor Kälte ungelenk wurden. Sie war in dem Netz hinter meinem Boot aufgetaucht, als ich das Wasser ein Stück vor der Küste absuchte. Es heißt, dass ein bei Regen gefangenes Capaill Uisce immer nass bleiben will, aber das wollte ich erst glauben, wenn ich es erlebt hatte.
»Das klingt nicht gut«, sagt Kate.
»Ist es auch nicht.«
»Und was mache ich dann hier?«
Ich mustere sie. Diese Frage beschäftigt mich, seit ich sie das erste Mal am Strand gesehen habe. »Weil sie ein Capaill Uisce wäre in einem Rennen, das für Capaill Uisce gemacht ist.«
Sie sieht an mir vorbei zum Rand der Klippe, die Augenbrauen zusammengezogen, einen entschlossenen Zug um den Mund. Sie hat etwas Unnachgiebiges an sich, ein Feuer, das ich auf ihre Jugend zurückführe.
»Ich denke nur darüber nach, wenn ich mir absolut sicher bin, dass sie eine bessere Wahl wäre als Dove«, entgegnet sie. Erst als sie schon eine ganze Weile schweigt, fällt mir auf, dass sie mich ansieht und darauf wartet, dass ich zustimme oder nicht.
Ich bin nicht ganz sicher, was sie von mir erwartet. Sie muss das alles schon wissen, aber ich erkläre trotzdem: »Es gibt nichts Schnelleres als ein Capaill Uisce. Punkt. Egal, wie du deine Stute trainierst, ob du sie Runden im Wasser laufen lässt oder was weiß ich. Die Capaill Uisce sind ihr an Kraft überlegen, an Größe, und deine Stute läuft mit Gras. Die Capaill Uisce laufen mit Blut, Kate Connolly. Du hast keine Chance.«
Meine Worte scheinen sie in ihrer Entschlossenheit nur zu bestärken, denn sie nickt, kurz, knapp. »In Ordnung. Dann hast du wohl auch nichts gegen ein kleines Rennen einzuwenden.«
Es ist eine eigentümliche Art, wie sie die Frage formuliert. So müsste ich ihr schon widersprechen, um der Sache zu entgehen.
»Rennen? Ich auf der Stute und du auf Dove?«
Kate nickt.
Wieder erfasst uns eine Windbö und Corr steht endlich still, während er versucht, eine Witterung aufzunehmen. Ich rieche den Regen, noch weit entfernt. »Ich wüsste nicht, wozu das gut sein sollte.«
Sie starrt mich bloß an.
Zu Hause warten zwei Gruppen Pferde darauf, dass ich mit ihnen auf die Galoppbahn gehe. George Holly und mindestens zwei weitere Käufer drücken sich auf dem Hof
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