Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Rot wie das Meer

Titel: Rot wie das Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
Vom Netzwerk:
mir her über das Kopfsteinpflaster. »Sie sehen so gut gelaunt aus.«
    »Tue ich das?«
    »Na ja, Ihr Gesicht sieht aus, als wäre ihm plötzlich wieder eingefallen, wie man lächelt«, erklärt Holly. Er wirft einen Blick auf meine Kleidung; meine komplette linke Seite ist voller Inseldreck.
    Ich betätige mit dem Knie die Wasserpumpe und fange an, den Eimer über dem Abfluss auszuwaschen. »Ich habe heute ein Pferd verloren.«
    »Na, wie unachtsam! Was ist denn passiert?«
    »Es ist von einer Klippe gesprungen.«
    »Einer Klippe! Ist das normal?«
    Im Inneren des Stalls stößt Edana ein ungeduldiges, klagendes Heulen aus, ein sehnsüchtiger Ruf nach dem Meer. Letztes Jahr um diese Zeit hat Mutt sein ihm zugewiesenes Pferd bereits bis zum Umfallen den Strand hinauf- und hinuntergeprügelt. Jetzt aber wirkt der Hof unnatürlich still ohne ihn. Es ist wie die Ruhe vor dem Sturm. Ich denke an das morgige Skorpio-Fest und wie bei der Parade dieses Jahr Mutt und ich und die verrückte Kate Connolly mitlaufen werden.
    Ich drehe die Pumpe zu und blicke ihn an. »Mr Holly, nichts an diesem ganzen Monat ist normal.«

28
    Puck Heute ist der Abend des großen Skorpio-Fests.
Ich bin erst ein einziges Mal bei dem Fest gewesen; in einem Jahr ist Mum mit uns hingefahren, während Dad mit dem Boot draußen war. Dad war nie gut auf das Fest oder das Rennen im Allgemeinen zu sprechen. Er sagte immer, das eine bringe Krawallmacher hervor und das andere gebe diesen Krawallmachern zwei Beine mehr, als sie beherrschen könnten. Wir waren immer davon ausgegangen, dass Mum genauso darüber dachte. Doch in diesem einen Jahr, als klar war, dass Dad mit seinem Boot bis zum Abend nicht zurück sein würde, ließ Mum uns unsere Mützen und Mäntel holen und schickte Gabe los, um dem Morris ein paar Tritte zu versetzen, damit er ansprang (der Wagen war schon damals ziemlich launisch). Voller Übermut drängelten wir uns hinein: Gabe nahm den begehrten Beifahrersitz in Beschlag, während Finn und ich uns auf dem Rücksitz balgten. Mum schimpfte und sauste die schmale Straße nach Skarmouth hinunter, über das Lenkrad gebeugt wie über den Hals eines störrischen Pferdes.
    Und dann: Skarmouth! Überall bunte Kostüme, Skorpio-Trommler und Gesang. Mum kaufte uns Glöckchen und Bänder und Novemberkuchen, von denen mir noch Tage später die Finger klebten. Überall Lärm, Lärm, Lärm, bis Finn, der damals noch ein ziemlich kleiner Pimpf war, davon zu weinen anfing. Da kam wie aus dem Nichts Dory Maud mit einer furchterregenden Maske zu uns herübergefegt und setzte sie Finn auf. Hinter dem krummzahnigen Monsterkopf versteckt war Finn plötzlich so furchtlos wie unsere Mutter.
    Zu der Zeit, als Mum noch lebte, habe ich sie meistens Doves Unterstand ausmisten sehen, Töpfe spülen, Tongefäße bemalen oder auf der Leiter stehen, um einen losen Dachziegel wieder festzuklopfen. Wenn ich heute an sie denke, sehe ich sie aus irgendeinem Grund an jenem Abend bei dem Fest vor mir, ihre blitzenden Zähne, ihr Gesicht fremd im Feuerschein, als sie wild mit uns im Kreis tanzte und die Novemberlieder sang.
    Das alles ist nun Jahre her und wieder ist der Tag des Skorpio-Festes gekommen und wir können hingehen, wenn wir wollen, denn es ist niemand mehr da, den wir um Erlaubnis bitten müssten. Es ist ein seltsames, hohles Gefühl.
    »Ich hab den Morris zum Laufen gebracht«, verkündet Finn, als er ins Haus kommt. Er beobachtet mich so interessiert beim Spülen, als hätte er so etwas noch nie gesehen. »Hat ziemlich lange gedauert.« Das glaube ich ihm. Er ist über und über schmutzig und schwarz.
    »Du siehst ja verboten aus«, sage ich zu ihm. »Was hast du vor?«
    Statt ins Badezimmer zu gehen und sich zu waschen, holt er seinen Mantel, der hinter Dads Sessel am Kamin auf dem Boden liegt.
    Finn reibt sich über die Stirn und hinterlässt dort einen schwarzen Streifen. »Ich hab Angst, dass er nicht wieder anspringt, wenn der Motor ausgeht.«
    »Du kannst ihn doch nicht die ganze Nacht laufen lassen.«
    Mein Bruder setzt seine ausgebeulte Mütze auf. »Ich frage mich wirklich, warum Mum immer gesagt hat, du wärst von uns dreien am schlausten.«
    »Hat sie auch nicht. Das hat sie zu Gabe gesagt«, erinnere ich ihn. Als er die Hand nach dem Türknauf ausstreckt, dämmert mir, wo er hinwill. »Warte ... willst du etwa zum Fest?«
    Finn dreht sich zu mir um und sieht mich bloß an.
    »Aber Gabe ist noch nicht mal zu Hause. Und warum sollten wir da

Weitere Kostenlose Bücher