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Rot wie das Meer

Titel: Rot wie das Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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Minuten bin ich auch hier raus«, sagt er, obwohl ich nicht gefragt habe.
    »Dreißig!«, ruft Peg Gratton von hinten.
    Ich schmecke Blut in meinem Mund. Ein Auge aus Schiefer blinzelt mich an.
    Beech kritzelt meine Bestellung auf einen Block und ich werfe unterdessen einen Blick auf die Tafel an der Wand. Dort steht mein Name, dann Corrs und daneben unsere aktuelle Wettquote: 1:5. Unter uns stehen die Namen einer Reihe neuer Teilnehmer vom Festland, die in den ersten Trainingstagen ein Pferd gefunden haben. Sie werden den Strand mit ihrer Unfähigkeit und ihrem Übereifer fluten wie am ersten Tag. Ich überfliege die Liste, bis ich Kate Connolly fin-
    de; den Namen ihres Ponys sehe ich zuerst, dann ihren. Ihre Wettquote ist 45:1. Ich frage mich, ob das an ihrem Pony liegt oder an ihrem Geschlecht.
    Als Nächstes suche ich nach Mutts Namen. Da steht er und der seines Pferds gleich daneben. Eigentlich hätte er Edana lauten müssen, denn so heißt das Pferd, das er seit zwei Tagen nicht angerührt hat, die Braune mit der Blesse. Das Pferd, das ich seinem Vater für ihn empfohlen habe.
    Aber dort steht nicht Edana.
    Das Wort neben Mutts Namen lautet Skata. Ein guter Name für ein Pferd, hart und kurz. Skata ist eine regionale Bezeichnung für die Elster. Einen Vogel, der für seine Klugheit bekannt ist, seine Liebe für alles, was glänzt, und sein schwarz-weißes Gefieder. An unserem Strand gibt es nur ein einziges schwarz-weißes Geschöpf.
    Skata ist die Scheckstute.

31
    Sean Ich entdecke ihn an einem der Feuer.
    Die Flammen schlagen hoch in den pechschwarzen Himmel und verschmelzen mit der Nacht. Ich schmecke den Qualm auf der Zunge-
    »Matthew Malvern«, sage ich und es klingt wie ein Knurren, eine
    Herausforderung zum Kampf, nicht freundlicher als einer von Corrs Schreien, die über den Sand gellen. Mutt ist ein Riese, eine schwarze Mythengestalt vor den lodernden Flammen. In der Hand hält er ein Stück Kohle und einen Fetzen Papier: ein Seewunsch. Wenn er überhaupt ein Gesicht hat, kann ich es nicht sehen. »Sieh an, ein Todeswunsch. Dein eigener, nehme ich an? Ich habe gerade die Tafel bei Gratton gesehen.«
    Mutt dreht den Zettel gerade lange genug in seinen Fingern hin und her, dass ich meinen Namen darauf sehen kann, rückwärts geschrieben. Dann lässt er ihn über den Rand der Klippe segeln. Das Papier verschwindet in der Dunkelheit.
    »Dieses Pferd wird dich umbringen.«
    Mutt schlendert auf mich zu. Sein Atem ist dunkel, wie das Wasser über dem Meeresgrund. »Und seit wann, Sean Kendrick, machst du dir Sorgen um meine Sicherheit?«
    Er tritt näher, noch näher, bis unsere Schatten eins werden. Ich weiche nicht zurück. Wenn er heute Abend auf einen Kampf aus ist, dann soll er ihn bekommen. In meinem Inneren tobt bereits ein Sturm und wieder sehe ich Fundamental untergehen, so klar wie in der Sekunde, als es passierte.
    »Vielleicht bringt sie ja nicht dich um«, entgegne ich. »Und niemand verdient es, deinetwegen zu sterben.«
    Das Feuer ist heiß auf meiner Haut.
    »Ich weiß, warum du nicht willst, dass ich sie reite«, lacht Mutt. »Weil du weißt, dass sie schneller ist als er.«
    So viele Jahre habe ich alles darangesetzt, für Mutts Sicherheit zu sorgen, weil sein Vater es so wollte: das sicherste Pferd ausgesucht, es bis zur Erschöpfung trainiert, um es immun gegen den Ruf des Ozeans zu machen, ihn beim Training im Auge behalten, um zu verhindern, dass irgendwer ihm zu nahe kam. Ich habe mir zwei Rippen gebrochen, die seine hätten sein sollen.
    Jetzt aber hat er sich mir und meinen Möglichkeiten, ihn zu beschützen, so weit entzogen, dass ich beinahe erleichtert bin. Wenn er die Scheckstute reiten will, kann ich nichts mehr für ihn tun.
    Ich hebe die Hände. »Mach, was du willst. Ich bin hier fertig.«
    Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie sich uns ein paar Gestalten nähern; sie sind gekommen, um uns zur Parade der Reiter zu rufen. Der Abend neigt sich dem Ende zu und morgen beginnt das ernsthafte Training. Im Moment jedoch ist es schwer vorstellbar, dass auf diese Nacht, die sich in die Unendlichkeit zu erstrecken scheint, ein neuer Tag folgen soll.
    »Genau«, sagt Mutt. »Du bist hier fertig.«

32
    Puck Die Parade der Reiter ist nicht gerade das, was ich mir vorgestellt habe.
    Ein Mann ruft über die Menge hinweg: »Reiter? Reiter! Zur Klippe!« Ganz offensichtlich will er, dass wir ihm folgen. Ich warte darauf, dass sich irgendeine Art Ordnung herauskristallisiert, aber vergeblich.

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