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Rot wie das Meer

Titel: Rot wie das Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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aber seine Augen tun es.
    Dann bleibt Elizabeth stehen. »Hier«, sagt sie.
    Wir sind bei einem dritten Feuer gelandet, vor dem sich ein riesiger, flacher, mit braunen Flecken und Spritzern übersäter Felsen erstreckt. Ich brauche einen Moment, um zu begreifen, was ich da sehe. Die Flecken auf dem Felsen sind Blut, uraltes Blut. Finn verzieht das Gesicht. Eine riesige Masse von Menschen drängt sich um den Felsen, sie warten, so wie Sean gewartet hat, und ein Stück von uns entfernt erkenne ich ein paar der anderen Reiter: Dr. Halsal, Tommy Falk, Mutt Malvern, Ian Privett. Einige von ihnen plaudern oder lachen –sie haben das alles hier schon einmal mitgemacht und wirken vertraut miteinander. Mir wird übel.
    »Wo kommt denn das ganze Blut her?«, flüstere ich Elizabeth zu.
    »Welpen«, entgegnet Elizabeth. Sie hat Ian Privetts Blick aufgefangen und fletscht nun die Zähne zu etwas, von dem ich nicht glaube, dass es ein Lächeln sein soll. Dann fasst sie mich bei den Oberarmen und schiebt mich vor sich wie einen Schild. »Von den Reitern natürlich. Ihr geht gleich alle da rauf und lasst einen Tropfen Blut auf den Stein fallen, um eure Teilnahme am Rennen zu besiegeln.«
    Ich starre auf den Felsen. Dafür, dass jeder Reiter nur einen einzigen Tropfen gibt, scheint mir das ziemlich viel Blut zu sein.
    Jetzt klettert ein Mann auf den Felsen. Ich erkenne ihn als Frank Eaton, einen Bauern, den mein Vater gekannt hat. Er trägt eins dieser seltsamen traditionellen Schalgebilde, auf die die Touristen ganz wild sind – er hat den Stoff über seine Schulter geschlungen und auf Höhe der Hüfte zusammengesteckt, was zu seiner Cordhose höchst albern aussieht. Mit diesem traditionellen Aufzug assoziiere ich einen starken Schweißgeruch und Eaton sieht nicht so aus, als würde er diesen Eindruck widerlegen. Mit einer kleinen Schale in der Hand wendet er sich nun der Menge zu, die mittlerweile ein bisschen leiser geworden ist. »Mir obliegt die Aufgabe, für den Mann zu sprechen, der nicht reiten wird.«
    Eaton kippt die Schale und Blut platscht auf den Fels zu seinen Füßen. Er tritt nicht zurück und so bekommt auch seine Hose ein paar Spritzer ab. Es scheint ihm nichts auszumachen.
    »Reiter ohne Namen«, sagt er dann. »Pferd ohne Namen. Bei diesem Blute.«
    »Schaf«, erklärt Elizabeth. »Oder vielleicht Pferd. Ich weiß nicht mehr.«
    »Das ist ja barbarisch!« Ich kann es nicht fassen. Finn sieht aus, als würde er sich jeden Moment übergeben.
    Elizabeth zuckt bloß mit einer Schulter. Ian Privett beobachtet sie. »Noch bis vor fünfzig Jahren haben sie hier oben einen Mann getötet. Den Mann, der nicht reiten wird.«
    »Aber warum?«, verlange ich zu wissen.
    Ihre Stimme klingt gelangweilt; es mag eine Antwort darauf geben,
    aber die interessiert sie nicht. »Weil Männer nun mal gerne irgendwas töten. Ist doch gut, dass sie damit aufgehört haben. Sonst würden uns langsam die Männer ausgehen.«
    »Weil«, mischt sich eine Stimme ein, die ich sofort erkenne, »man hofft, dass die Insel während des Rennens nicht so viel Blut fordern wird, wenn man ihr vorher welches darbietet.«
    Elizabeth dreht sich mit finsterem Gesicht zu Peg Gratton um. Ich blinzele in Pegs Richtung – sie ist unter ihrem aufwendigen Kopfschmuck kaum zu erkennen. Er erinnert ein bisschen an die gruseligen Gelbschopflunde, die man manchmal auf der Insel sieht: Eine Art großes, spitzes Visier bildet den Schnabel und über Pegs Ohren liegen faserige gelbe Quasten wie die Hörner eines Widders. Ich suche nach einem Zeichen von Pegs Locken, aber sie sind sorgsam unter dem Stoffrand des Kopfputzes verborgen.
    »Erwarte nicht, dass sie nett zu dir sind, Puck«, sagt Peg Gratton zu mir, als wäre Elizabeth gar nicht da. »Viele von ihnen glauben, dass ein Mädchen am Strand Unglück bringt. Sie werden nicht erfreut sein, dich hier zu sehen.«
    Ich presse die Lippen aufeinander. »Sie sollen auch gar nicht nett zu mir sein. Sie sollen mich einfach nur in Ruhe lassen.«
    »Ich würde sagen, das fällt schon unter nett sein«, entgegnet Peg. Sie dreht ihren Kopf und die Bewegung wirkt seltsam abgehackt mit dem riesigen Vogelkopf. Wenn mich nicht schon alles andere, was ich an diesem Abend gesehen habe, nervös gemacht hätte, wäre ich es spätestens jetzt gewesen. Dann sagt sie: »Ich muss gehen.«
    Auf dem Felsen tritt nun eine Frau mit einem echten Pferdekopf auf den Schultern an die Stelle, wo Eaton das Blut verschüttet hat. Ihr Gewand ist

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