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Rot wie das Meer

Titel: Rot wie das Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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Das einzig Paradeartige an der Prozedur besteht darin, dass sich ein paar einzelne Reiter in dieselbe Richtung bewegen, die Klippe hinauf. Die Menge teilt sich für sie und ich laufe rasch hinterher, während Finn mir, so gut es geht, zu folgen versucht. Mir tritt niemand aus dem Weg und so bekomme ich alle paar Schritte Schultern ins Gesicht und Ellbogen in den Brustkorb gerammt.
    Mittlerweile ist die Nacht schwärzer als schwarz und das einzige Licht rührt von den zwei Feuern her; das eine lodert wild und hoch, während das andere kleiner ist und unermüdlich Funken spuckt. Ich bin nicht ganz sicher, wo ich hinsoll.
    »Kate Connolly«, höre ich eine Stimme sagen und es klingt nicht freundlich. Als ich mich umdrehe, sehe ich mich nur abgewandten Gesichtern und zusammengezogenen Augenbrauen gegenüber. Ein eigenartiges Gefühl, wenn plötzlich nicht mehr mit einem, sondern nur noch über einen geredet wird.
    Eine Hand fasst nach meinem Arm und ich fahre herum, fluchend und fauchend, bis ich sehe, dass es Elizabeth ist, Dory Mauds Schwester. Ihr Haar ist hell, selbst in diesem schummrigen Licht, und sie trägt ein rotes Kleid in derselben Farbe wie Pfarrer Mooneyhams Auto. Sie zieht ein missmutiges Gesicht. Ihre Lippen passen ebenfalls
    zu Pfarrer Mooneyhams Auto. Ich bin ein bisschen überrascht, sie hier zu treffen; ich habe sie noch nie woanders als an ihrem Verkaufsstand oder bei Fathom & Sons gesehen und bin wohl davon ausgegangen, dass sie schmilzt oder sich in Luft auflöst, sobald sie über die Schwelle zur wirklichen Welt tritt. Jede der Schwestern hat ihr ganz eigenes Reich: Das von Dory Maud ist das größte, denn es umfasst die gesamte Insel, während Elizabeths sich auf das Haus und den Stand beschränkt und Annies, das kleinste von allen dreien, nur auf das Obergeschoss von Fathom & Sons.
    »Du hast dich wirklich verlaufen, oder? Dory Maud hat gesagt, du würdest dich schon zurechtfinden, aber ich wusste, dass das nicht stimmt.« Aus Elizabeths Gesicht spricht die pure Verachtung.
    ›»Verlaufen haben‹ würde bedeuten, dass ich weiß, wo ich hinmuss«, zische ich zurück. »Aber ich bin noch nie bei der Parade gewesen.«
    »Kratz mir nicht gleich die Augen aus«, beschwichtigt mich Elizabeth. »Da geht's lang. Finn, Junge, hör auf, Maulaffen feilzuhalten, und komm mit.«
    Ihre Finger sind Klauen um meinen Oberarm, als sie mich die Klippe über dem Rennstrand hinaufführt. Finn trottet hinter uns her, nervös wie ein Welpe.
    »Wo ist Dory?«, schreie ich.
    »Wetten«, knurrt Elizabeth. »Wo auch sonst? Während ich die ganze Arbeit mache.«
    Ich bin mir nicht ganz sicher, inwiefern die Tatsache, dass sie mich gerade die Klippe hinaufschleift, als Arbeit zählt, aber ich bin ihr trotzdem dankbar. Außerdem bin ich mir nicht sicher, ob ich mir Dory Maud dabei vorstellen kann, wie sie Pferdewetten abschließt. Jedenfalls nicht auf die Art, die Elizabeths »Wo auch sonst?« impliziert. Ich gebe mir alle Mühe, ein entsprechendes Bild von Dory Maud in der Fleischerei heraufzubeschwören, aber alles, was ich zustande bringe, ist eins von ihr im Black-Eyed Girl. In meiner Fantasie schlägt sie sich dort zumindest besser als ich und marschiert selbstbewusst wie ein Mann direkt durch zur Bar.
    Elizabeth fährt mich an, ich solle gefälligst aufwachen, und scheucht mich mit grimmiger Entschlossenheit durch die Menge auf der Klippe. Erst nach einer ganzen Weile hält sie kurz an, um sich zu orientieren. Aber ich weiß, dass wir richtig sind. Denn ich habe einen Ruhepol inmitten der wogenden Massen erspäht: Sean Kendrick. Seine Kleidung ist fast so finster wie seine Miene und er blickt aufs Meer hinaus in die schwarze Nacht. Er scheint auf etwas zu warten.
    »Da«, sage ich.
    »Nein«, erwidert Elizabeth, die meinem Blick gefolgt ist. »Da gehst du ganz sicher nicht hin. Findest du nicht, dass das Rennen auch so schon gefährlich genug ist? Hier lang.«
    Sean wendet seinen Kopf in der Sekunde, als Elizabeth mich in die entgegengesetzte Richtung zerrt, und unsere Blicke treffen sich. In seinem liegt etwas Hartes, Unkontrolliertes, dann muss ich wieder auf den Boden vor mir sehen, damit Elizabeth mich nicht von den Füßen reißt.
    Finn drängelt sich neben mich, die Hände gegen die Kälte in den Taschen vergraben. Er wirft einen missmutigen Blick auf Elizabeth.
    Ich drehe mich zu ihm um und flüstere ihm zu: »Bei dem Tempo, das sie vorlegt, könnte man meinen, das hier sei das Rennen.«
    Finn lächelt nicht,

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