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Rot wie das Meer

Titel: Rot wie das Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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nehmen. Ich weiß, dass das für dich nicht infrage kommt, aber vielleicht nimmt er ja auch mich ... «
    Finn sagt: »Ich würde es machen.«
    »Das würdest du nicht aushalten.«
    Das Büschel Heu in seiner Hand hat sich komplett aufgelöst; nur noch Staub ist davon übrig. »Du hättest auch nicht gedacht, dass du jemals bei dem Rennen mitreiten könntest, aber du tust es trotzdem. Ich glaube, ich könnte lernen, es auszuhalten, wenn es sein müsste.«
    Ich will aber nicht, dass er es lernt. Ich will meinen lieben, unschuldigen Bruder behalten, wie er ist, und ich will meine beste Freundin Dove behalten und ich will das Haus, in dem ich aufgewachsen bin, nicht für eine winzige Wohnung und einen Job in der Fabrik eintauschen.
    »Aber so wird es nicht kommen«, sage ich. »Die erste Version wird eintreffen.«
    Finn zerpflückt ein weiteres Büschel Heu. Genau wie Dove.
    In dem Moment hören wir ein seltsames Knarzen.
    Das Metalldach des Unterstands ist alt, somit gibt es da oben ziemlich viel, was knarzen könnte, und die Rückwand bildet gleichzeitig einen Teil des Zauns, also bergen auch die Stellen, an denen die Zaunlatten auf die Pfosten des Unterstands treffen, jede Menge Knarz-potenzial. Und der Zaun selbst ist auch nicht mehr der Jüngste, das heißt, auch er hätte jedes Recht, an allen Ecken und Enden zu knarzen.
    Aber so ein Knarzen ist es nicht.
    Es ist mehr ein Knarzen in Verbindung mit einem Klopfen. Oder nicht direkt einem Klopfen. Weicher. Einem Stupsen. Als ich genauer darüber nachdenke, weiß ich eigentlich gar nicht, ob ich es überhaupt gehört habe, bis mir bewusst wird, wie Finn mich ansieht, völlig reglos, und ich begreife, dass ich es nicht bloß gehört habe – ich habe es gespürt.
    Finn und ich drehen beide den Kopf und starren auf die Wand des Unterstands, vor der wir sitzen.
    Ich will sagen: Vielleicht war es nur Puffin. Aber Dove hat aufgehört zu kauen und ihre Ohren sind in Richtung des Geräuschs gerichtet. Ich glaube nicht, dass eine Katze sie dermaßen alarmiert hätte.
    Finn und ich sitzen wie erstarrt da. Der feine Regen wispert auf dem Dach, sssss . Wir versuchen, einander nicht anzusehen, denn das würde das Lauschen schwerer machen. Nichts. Gar nichts. Nur der Regen auf dem Dach. Dove lauscht noch immer, aber es gibt nichts zu hören. Es ist nur das Holz des Unterstands, das arbeitet. Unsere kleine Laterne wirft einen gelben Lichtkreis an die Decke. Die Welt ist totenstill.
    Dann:
    Wrrh.
    Und das unverkennbare Geräusch langsamer Schritte auf der anderen Seite des Unterstands.
    Es sind keine Füße.
    Es sind Hufe.
    Wir starren einander an.
    Dann wieder knarz-stups und diesmal wissen wir beide, was es ist. Ich spüre, wie von der anderen Seite prüfend gegen die Wand gedrückt wird, und beiße mir auf die Lippe, fest. Mit fragendem Blick legt Finn einen Finger auf den Schalter der elektrischen Laterne. Ich schüttele hastig den Kopf. Das Einzige, was ich mir noch schlimmer vorstelle, als in dieser regnerischen Nacht einem Capaill Uisce zu begegnen, ist, dies auch noch im Dunkeln tun zu müssen.
    Stattdessen fange ich an, mich tiefer in die Heudecke einzugraben, die ich mir gemacht habe; ganz langsam, damit die Halme nicht rascheln. Finn folgt sofort meinem Beispiel. Doves Ohren zucken herum zu einem unsichtbaren Signal auf der anderen Seite der Wand. Wenn ich mich konzentriere, höre ich einen Hufschlag auf dem Boden, dann noch einen. Ein weiteres Ausatmen, nicht lauter als der Regen auf dem Dach.
    Ich weiß nicht, was das Capaill Uisce macht. Vielleicht verliert es ja das Interesse. Vielleicht hält der Zaun zwischen ihm und uns es von uns ab. In meinem Kopf gehe ich die Strecke durch, die wir bis zum Haus zurücklegen müssten: um den Unterstand herum, zwei Zaunabschnitte entlang, über das Tor aus Metallstreben und dann noch fünf Meter bis zur Tür.
    Vielleicht würde es einer von uns rechtzeitig über das Tor schaffen. Aber das reicht nicht.
    Die Nacht ist schwarz und still. Ich lausche angestrengt auf weitere Hufschläge. Dove konzentriert sich noch immer auf den Punkt, von dem das letzte Geräusch kam. Finn, jetzt größtenteils mit Heu bedeckt, blickt mich an. Seine Kiefer sind fest aufeinandergepresst.
    Der nebelfeine Sprühregen zischelt über das Dach. Wasser tropft von der Metallkante, immer nur ein, zwei Tropfen auf einmal, und gibt ein leises, beinahe unhörbares Platschen von sich, als es auf dem Boden landet. Irgendwo weit weg höre ich etwas, was wie ein

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