Rot wie eine Braut: Roman (German Edition)
dass man ihn zu Fuß durchqueren konnte. Saba arbeitete mit den Schwägerinnen auf den Feldern, die Wiegen mit den Säuglingen hatten sie im Schatten zurückgelassen.
Plötzlich hört man vom Fluss her Lärm und Gelächter. Die Frauen eilen herbei, sie haben Angst um ihre Kinder. Es sind Kriegszeiten. Aber was sie sehen, hat nichts mit dem Krieg zu tun. Sie sehen drei junge Burschen, die im Fluss baden. Statt richtig zu schwimmen, plantschen sie nur im flachen Wasser herum. Sie bespritzen sich gegenseitig und lachen wie verrückt.
»Ach ja, auch sie sind nur Söhne von armen Müttern, die aus der Tür spähen und auf sie warten«, sagt Saba bewegt.
Die italienischen Soldaten drehen sich um und sehen die Frauen an. Dann steigen sie aus dem Wasser, ziehen sich an und nähern sich, noch immer klitschnass. Sie lächeln den Kindern zu und streicheln ihnen übers Gesicht. Einer von ihnen deutet auf eins der Babys und versucht, sich mit Gesten verständlich zu machen.
»Zwei, zwei so«, er zeigt mit den Fingern, »zwei zu Hause Apulien.«
Aber die Frauen verstehen nicht. Sie lassen sich von dem Wort »Apulien«, dem italienischen »Puglia« irreführen, das so ähnlich wie Pula klingt und auf Albanisch Hühnchen heißt.
»Oh, die Armen«, sagt eine der Schwägerinnen, »sie wollen zwei Pula, sie haben Hunger.«
Sie bückt sich, um nach ihrer Tasche unter der Wiege zu greifen, und zieht zwei Maisbrote hervor.
»Soldat«, sagt sie und betont dabei jede Silbe, »wir haben keine Pula, noch nicht einmal für unsere eigenen Kinder. Aber wenn ihr hungrig seid, könnt ihr das nehmen.«
Der Soldat versteht nicht ganz, aber er bedankt sich und lehnt ab. Nein, das ist nicht nötig.
»Wer isst schon Maisbrot«, mischt sich eine andere ein. »Sie werden an Weizen gewöhnt sein.«
»Wen kümmert’s«, antwortet die Erste. »Haben sie den Krieg gewollt oder nicht?«
»Hört auf damit, der arme Kerl hat schließlich nicht den Krieg beschlossen. Ich würde den noch nicht mal losschicken, meine Pula zu hüten«, sagt Saba, und die anderen brechen in Gelächter aus.
Die Frau legt das trockene Brot zurück in die Tasche, und alle machen sich bereit, um auf die Felder zurückzukehren. Auch die Soldaten entfernen sich, aber einer von ihnen kommt zurück. Während die beiden anderen dastehen und lachen, fasst er Mut und sagt zu den Frauen jene Worte, die Saba auch nach vierzig Jahren noch nicht versteht.
»Feige, Feige für Geld!«
Saba stemmt die Hände in die Hüften und antwortet belustigt:
»Ihr braucht kein Geld zu geben. In diesem Dorf sind die Feigen umsonst, die Esel fressen sie.«
Da sie nicht verstehen, was sie sagt, zeigt sie auf die Bäume.
Als die Deutschen kommen, werden die italienischen Soldaten erbarmungslos niedergeschossen. Viele Familien nehmen sie auf und verstecken sie in ihren Häusern. Mit den Deutschen ist nicht zu scherzen. Wenn Saba später von ihrer Ankunft in Kaltra erzählt, spürt sie noch immer das Grauen jenes Augenblicks.
Sie wird erzählen, dass sie immer aufrecht und mit ausgestrecktem Gewehr marschiert sind, dass sie vollkommen lautlos kamen, aber dass man in der Luft eine Veränderung spürte, und dass einem ein kalter Schauer den Rücken hinablief, wenn man ihnen ins Gesicht sah.
Omer nimmt zwei Italiener bei sich auf, ein wenig, um ihnen zu helfen, ein wenig, um sich helfen zu lassen, vor allem auf den Feldern. Er ist immer mit dem Grappa beschäftigt. Auf diese Weise hat Saba plötzlich zwei »Peppini« im Haus. So werden in Kaltra die Italiener genannt. Ein Peppino heißt Antonio, oder, wie er in seinem Heimatdialekt genannt wird, Toniò, der andere Oreste.
Toniò und Oreste gehen jeden Morgen auf die Felder, sie sind so dankbar, dass man sie nicht den Deutschen ausgeliefert hat, dass sie den ganzen Tag und oft noch am Abend arbeiten. Sie versuchen, die nicht vorhandenen Straßen zu reparieren, zuerst um Sabas Haus herum, später auch im Dorf. Toniò und Oreste sind die Pioniere der »Infrastruktur« dieses abgelegenen Ortes, in den der Krieg sie verschlagen hat. Saba tun sie sehr leid, und hin und wieder lässt sie sich mit dem Tablett in der Hand und den mit weißer Dhallë gefüllten Gläsern sehen.
»Toniò! Dhaaa-llë, Dhaaa-llë «, hört man sie von Weitem rufen.
Saba schreit wie alle Leute, die mit jemandem sprechen, der ihre Sprache nicht kennt, als ob eine erhobene Stimme die magische Kraft hätte, den Inhalt zu klären.
Toniò und Oreste bleiben bis 1945 und essen
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