Rot wie eine Braut: Roman (German Edition)
Dolmetscher seine Arbeit getan hat: Die Sprache der Gewalt bedarf keiner Übersetzung.
Der deutsche Offizier richtet die Pistole auf Isans Stirn.
»Mir reicht’s jetzt mit euch. Entweder ihr packt aus, oder ich blas euch das Hirn weg. Woll’n mal sehen, ob du nicht als Erster redest.«
Er legt die Pistole beiseite und nimmt ein Gewehr. Er klappt das Bajonett aus und legt es an Behijes Bauch.
»Rückst du raus mit der Sprache, oder nicht? Am Ende tu ich dir noch einen Gefallen und befreie dich von einem Bastard, dem du deinen Namen geben musst.«
Noch bevor er den Satz beendet hat, spürt er die Spucke im Gesicht. Ohne sie abzuwischen, drückt der Deutsche kräftig gegen den Bauch. Behije hat keine Zeit zurückzuweichen. Sie fällt zu Boden, die Eingeweide, das Kind quellen ihr aus dem Leib. Sie legt schützend die Hände darüber. Es ist ihre letzte Bewegung. Ein Schusshagel geht auf ihre Stirn, ihren Körper und das Baby nieder, ebenso wie auf die drei Brüder.
Die übrigen Frauen werden verschont.
Saba, ihre Mutter und die Schwägerinnen heben Behijes Körper auf und durchtrennen die Nabelschnur. Sie waschen das Baby und wickeln es in die schneeweißen Tücher, die seine Mutter schon bereitgelegt hatte. Dann nähen sie den aufgeschlitzten Leib zu, mit Nadel und Faden. Behije, gekämmt und in ihrem schönsten Kleid. So werden sie zusammen begraben, eng nebeneinander.
Das Einzige, was Saba wissen möchte, ist, wer sie an die Soldaten verraten hat. Jahre später wird sie es erfahren, zu einer Zeit, da sie begreift, dass es keinen großen Unterschied macht, es zu wissen. Sie wird weder Hass noch den Wunsch nach Vergeltung verspüren. Der Verräter ist ein Mitglied der Nationalen Front, der vorübergehend mit den Deutschen verbündeten Alternative zur Kommunistischen Partei. Er ist es, der Saba kurz vor seinem Tod alles gesteht, zwar ohne auf Vergebung zu hoffen, aber zumindest ihres Schweigens gewiss. Seine Angehörigen könnte dieses Geständnis noch teuer zu stehen kommen. Aber Saba wird mit niemandem darüber sprechen.
»Es hat keine Bedeutung mehr«, sagt sie sich. »Der Krieg war schuld. Er hat uns alle zu Bestien werden lassen.«
An jenem Tag, an dem sich Saba verspätet, benachrichtigen die Schwägerinnen die Schwiegermutter. Man hat ein paar Schüsse gehört, aber niemand hat weiter darauf geachtet. Schließlich wird es dunkel, und die Frauen begeben sich auf die Suche.
Als sie näher kommen und die herzzerreißenden Schreie aus dem Hof zu ihnen dringen, begreifen sie alles. Sie sehen den roten Schnee, der im Dämmerlicht changiert. Saba, ihre Mutter und die beiden Schwägerinnen schreien und werfen sich über die Körper. Ihre Gesichter sind blutig gekratzt. Die drei toten Brüder liegen noch immer im Schnee. Der Abendwind weht nicht mehr kalt.
Von diesem Tag an wird sich Saba für immer schwarz kleiden. Auch das Kopftuch ist schwarz. Sie wird es niemandem mehr erlauben, auf einer Familienhochzeit zu singen, außer auf der ihres Sohnes.
Doch dann holt dich das Leben wieder ein, mit seinen kleinen alltäglichen Dingen und dem Geschrei der Kinder. Saba kannte ihr Schicksal genau. Oft, wenn sie zwischen den Grabsteinen ihrer Liebsten umherstreifte, sprach sie mit sich selbst. Sie sagte, dass der Tod viele unbekannte Wege gehe, und dass es sein Recht sei, so wie wir die Pflicht hätten zu versuchen, den Toten Stille und Frieden zu gewähren. Aber in dieser Stille würde sie bis zu ihrem Tod täglich nach dem Weg suchen, der sie zu ihnen führte. Sie hatte alle Zeit, sich darauf vorzubereiten.
Das Nachkriegsleben hatte begonnen. Man baute die zerstörten Häuser wieder auf und kümmerte sich um die Marmorgrabsteine für die Gefallenen. Diesmal war es anders als bei den anderen Kriegen. Saba wurde klar, dass sie auf der richtigen Seite gestanden hatte. Die Nachbarn, die sich nicht hatten einmischen wollen, weil »die Kriege kommen und gehen, und es besser ist, du kümmerst dich um deine eigenen Angelegenheiten«, galten nunmehr als Feinde. Saba hegte diesbezüglich Zweifel: Was für Feinde? Sie kannte sie, seit ihrer Geburt … Immer wieder dachte sie darüber nach, und eine Sache begriff sie: Diesmal würde die Nachkriegszeit für immer dauern.
Der Krieg kommt, dachte sie, und du bist, ohne es zu wollen, mittendrin. Hinterher stehen manche auf der einen, manche auf der anderen Seite. Vielleicht wegen bloß zufällig getroffener Entscheidungen, oder aus Gründen, die nur in jenem Augenblick von
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