Rot wie eine Braut: Roman (German Edition)
Saba kommen würden.
Am nächsten Morgen begleitet ihn der Cousin aufs Amt. Als Omer den Namen seines Dorfes nennt, fängt der Beamte an zu lachen:
»Euch Bergbewohner erreicht alles mit Verspätung, selbst die Nachricht, dass ihr nicht mehr zu diesem Verwaltungsbezirk gehört, und das schon seit über zwei Jahren.«
Es wiederholt sich dieselbe Szene, die schon andere, ältere Landsleute erlebt haben.
Omer kehrt nach Kaltra zurück, als sich über alles bereits die Dunkelheit senkt. Der Mutter und der Ehefrau erzählt er nichts. Er ist müde, schweigend nimmt er sein Abendessen zu sich und geht sofort ins Bett: »Muss ich also noch mal auf Reisen gehen, das heißt es, Vater zu sein«, denkt er, kurz bevor er in den Schlaf fällt.
Das zweite Mal läuft es besser. Er kommt in die andere Stadt, die ausgelassen und voller Raki ist. Ein Beamter füllt die Formulare aus: so viele Daten, an die man sich erinnern muss. Omer fängt an, zufällige Zahlen aufzutischen. Und die Namen? Wer kennt schon die Namen dieser dummen Mädchen bei ihm zu Hause? Er hat sie nie beim Namen genannt. Wenn er etwas will, sagt er: »He du, bring mir Wasser.« Erklär das mal dem Herrn mit dem Stift in der Hand, der ungeduldig auf deine Antwort wartet.
Der Beamte ist kein bisschen entrüstet, sondern offenbar an solche Szenen gewöhnt. Er zählt einige Namen auf, um ihm zu helfen. Omer verneint zunächst, aber dann stimmt er überzeugt zu: »Ja, genau, ja, ich erinnere mich, so heißt sie, danke.« Einmal liegt er aus purem Zufall richtig, die anderen Male leider nicht. Zwei der Töchter entdecken, als sie in die Schule kommen, dass sie anders heißen. Zu ihrer Freude. Der Beamte hat guten Geschmack bewiesen und schöne Namen ausgesucht. In der Stadt, auf der Mittelschule danken die beiden »glücklichen« Mädchen mit den für Landbewohner ungewöhnlichen Namen – Sofija und Lola – im Stillen jenem Mann, der sie vor der Wahl der Verwandten bewahrt hat.
»Was hat es schon für eine Bedeutung?«, verteidigt sich Omer vor der Mutter und der Ehefrau. »Im Grunde ist es nur ein Name, ein dummer Name, mit dem die anderen dich rufen.«
Er begreift einfach nicht, warum sich die Leute über etwas aufregen, das sie nicht sehen, nicht anfassen und nicht spüren können. Etwas, das ihnen weder Geld noch Glück bringt. Warum also wird in seiner Familie so viel Gewicht auf so eine Belanglosigkeit gelegt? Vielleicht weil in seinem Haus so viele Frauen leben. Man weiß ja, wer sich gern um Belangloses kümmert.
Die Jahre vergehen mit den Geburten dummer Mädchen und Getreideernten: Hartweizen, Weichweizen, Mais … aber es ist nie genug.
Dann gibt es noch die andere, die große Ernte: die der Trauben, aus denen die durchsichtige Flüssigkeit destilliert wird, die Omer das Leben versüßt. Eine Traubenlese, die niemals ausreicht, ein Leben gänzlich zu versüßen.
In diesen Jahren, zwischen all den Geburten, zwischen einer Ernte und der nächsten, hat Saba manchmal blaue Flecken im Gesicht. Sie beklagt sich nie.
Eines Tages, etwa ein Jahr nach der Hochzeit, nimmt die Schwiegermutter sie beiseite und sagt:
»Dein Mann schlägt dich, dein Mann ehrt dich. Kümmere dich nicht um die Frauen aus dem Dorf. Meinst du, wenn du von hier fortgehst, öffnet dir jemand die Tür, um dich bei sich aufzunehmen?«
Saba versteht die Botschaft.
Nach drei Mädchen, als sie bereits die Hoffnung aufgegeben haben, kommt endlich ein Junge. Das Schicksal hat es so entschieden, Saba wird alles wieder wettmachen, bei der Schwiegermutter und bei allen Schwägerinnen. Ihr Sohn Luan ist blond und blauäugig, wie die drei kleinen Hühner, die vor ihm auf die Welt gekommen sind. In Kaltra sind die Blonden nicht gern gesehen. Aber die Schwiegermutter lässt keine Bemerkungen mehr fallen, weder über die Haar- noch über die Augenfarbe. Diesmal ist es ein Junge, auch wenn er blond ist. Sieben Nächte und sieben Tage wird Luan gefeiert, und Saba ist nicht länger das blasse Dummerchen, das über den Hof trippelt. Dieser Junge verändert ihre Stellung. Das Gewehr in Omers Haus bleibt nicht an der Wand hängen.
Sieben
Die Deutschen rückten näher. Bisher hatte man in Kaltra den Krieg nicht allzu sehr zu spüren bekommen.
Es war ein Tag, so heiß, dass die Steine zu bersten drohten. Die Esel, die unter den Bäumen dösten, hatten nicht einmal mehr die Kraft, ihre Schwänze zu bewegen, um die umherschwirrenden Fliegen zu vertreiben. Das Wasser im Fluss stand so niedrig,
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