Rot wie eine Braut: Roman (German Edition)
Haus der armen Frau vorbeimarschiert. Der Hund hatte laut gebellt und ihre Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Sie hatten sich schlagartig umgedreht und das räudige Tier betrachtet, das aus seinem Napf fraß. Genauer gesagt aus seinem Helm, denn als Fressnapf diente ein deutscher Stahlhelm. Zwei von ihnen hatten das Gesicht verzogen und waren näher getreten. Als die Frau die Geräusche hörte, war sie mit dem Kind im Arm die Treppe hinabgeeilt. Sie wollte sich im Keller verstecken und dort auf die Angehörigen warten. Die beiden Deutschen hatten einen Schatten gesehen und begannen zu schießen. Dann rannten sie ihren Kameraden hinterher, die ihren Marsch nicht unterbrochen hatten.
Am Abend, als die Familie nach Hause kam, fanden sie die junge Frau auf der Treppe sitzend, das Kinn gesenkt und das kleine Bündel an sich gedrückt. Das Baby nuckelte noch immer an der Brust der Mutter, die zu schlafen schien. Sie hatte ein Loch in der Stirn. Ihre Lippen waren bereits blau.
Während Saba sich mit den anderen an die Arbeit begibt, denkt sie an diese Geschichte und weint leise.
»Saba«, schlagen ihr die Schwägerinnen vor, »wir können dich decken. Um Luan kümmern wir uns und um den Rest auch. Aber komm zurück, bevor es dunkel wird.«
Saba nimmt den kürzesten Weg, der steil bergab führt. Das Haus ihres Mannes liegt am höchsten Punkt des Dorfes, und sie muss sich beeilen. Es schneit. Ringsum ist alles weiß, so blendend weiß, dass man die Dinge kaum unterscheiden kann. Während sie hinabsteigt, sieht sie das Tal vor sich, vollkommen ruhig, vollkommen eben. Nirgends eine Menschenseele, es ist ein Hundewetter.
Als sie das Elternhaus erreicht, ist sie nassgeschwitzt und bekommt kaum noch Luft. Sie ist gerannt wie eine Verrückte. Leise klopft sie an, aber niemand antwortet. Von drinnen hört man nicht das geringste Geräusch, nicht einmal das Schreien eines Kindes. Sie klopft erneut.
»Mama, ich bin es, Saba. Rubie, Rubie«, ruft sie nach ihrer Schwägerin.
An einem Fenster wird ein weißer Vorhang beiseitegeschoben, dann hört man Schritte. Die Tür öffnet sich, und der Kopf der Mutter erscheint.
»Was machst du hier bei diesem Wetter?« Melihas Stimme klingt vorwurfsvoll. »Hat dir deine Schwiegermutter bei diesem Schneetreiben die Erlaubnis gegeben, aus dem Haus zu gehen?« Ohne zu antworten tritt Saba ein.
Im Kaminzimmer erkennt sie die Umrisse ihrer Brüder. Sie sind zu dritt. Die Nichten und Neffen klammern sich an ihre Väter, die Schwägerinnen sitzen auf dem Quilim, niemand spricht. Saba beeilt sich, ihre Brüder zu umarmen und flüstert schluchzend:
»Ich wusste, dass ich euch treffen würde, ich hab es gespürt. Ich wusste …«
Einer der Brüder fehlt, der jüngste, Myrto. Sie erzählen ihr, dass er einen Auftrag in einer anderen Gegend zu erfüllen hat. Saba seufzt erleichtert. Zum Glück geht es allen gut, allen geht es gut …
»Sobald es dunkel wird, brechen wir auf«, sagen sie zu ihr. »Wir müssen zu unseren Kameraden.«
Ihre Schwägerin Behije stellt einen Kaffee neben sie und setzt sich zu ihrem Mann. Behije wartet, sie ist im letzten Monat. Ihr Mann Isan hat sie vor knapp neun Monaten das letzte Mal besucht … Er wusste nicht, dass er wieder Vater wird. Er ist außer sich vor Freude.
Saba nippt an ihrem Kaffee, aber sie hat noch nicht ausgetrunken, da hört man einen Schuss im Hof und Tritte an die Tür.
»Aufmachen, ihr seid umzingelt. Los, aufmachen!«
Sie bringen alle in den Hof. Der oberste Offizier sagt zu den Männern, dass sie mit heiler Haut davonkommen können, wenn sie reden.
»Zeitverschwendung«, antwortet Emin.
»Die Frauen, die Frauen haben nichts damit zu tun«, ruft Isan. »Lasst sie ins Haus zurückgehen.«
»Das entscheide ich«, sagt der Offizier. »Aber mal sehen, welche deine Frau ist …«
»Wenn du ihr auch nur ein Haar krümmst, wirst du es bereuen.«
»Ach, willst du mich umbringen? Lass sehen, welche ist deine Frau?«
Die Männer in Zivil, die sie begleiten, zeigen auf die Frau mit dem dicken Bauch.
»Ich seh schon, sie hat keine Zeit verloren, während du weg warst. Erzähl mir nicht, dass du dich auf die Geburt eines Bastards freust.«
Der Offizier tritt auf Behije zu, um ihr an den Bauch zu fassen, aber Isan stellt sich schützend zwischen sie.
»Verfluchter Hund, leg dich mit mir an, wenn du Mumm hast.«
Schimpfworte wechseln über den Dolmetscher von einer Seite auf die andere. Aber merkwürdigerweise kommen die Antworten, bevor der
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