Rot wie eine Braut: Roman (German Edition)
der übergroßen Liebe der Großmutter verdrängt wird. Der Geruch der Brautkleider, die von den verträumten Blicken der noch unverheirateten Mädchen gestreift werden, der Geruch, den die Alten wahrnehmen, während sie ergeben ihre besten Kleider betrachten, jene, die sie bei ihrem Tod tragen werden. Mit dem Duft der Quitten dringen die Lebensalter der Frauen meines Landes in mein neues, fernes Leben ein.
Ich wollte nicht mehr länger warten und habe ihr als Erste geschrieben, jene wirren Seiten, auf denen ich von ihr, von uns, von anderen erzähle. Ich erzähle von dem, was sie erlebt hat, und von dem, was ich allein erlebt habe, von Liebe und Verrat, von Blut und Kriegen, von Kindern, die geboren wurden, und von denen, die niemals geboren werden sollten. Ich erzähle auch vom Wahn, dem Wahn der Frauen unserer Familie, der mich, um ehrlich zu sein, ein wenig beunruhigt. Als ich klein war, habe ich nie gewagt zu fragen: »Großmutter, ist der Wahn unserer Frauen erblich?« Vielleicht wollte ich sie nicht verletzen.
Ich habe ihr in der Sprache geschrieben, die ich mit meinen Kindern spreche, das wird ihr genügen. Ich bleibe ihrem Fluss verbunden, und auf den weißen Steinen meiner Kindheit warte ich auf ihre Berührung. Ich weiß, dass sie kommen wird.
Nur etwas bleibe ich ihr schuldig: die Verse ihrer Totenklagen, die Verse, die ohne Unterlass den Weg vom Leben zum Tod nehmen, um zu berichten, wie das Leben ohne uns, nach uns ist. Denn wir haben ein Recht, es zu erfahren. Letztlich standen wir alle einmal auf derselben Seite.
Dank
Ich möchte einige Zeilen des Dankes anfügen, obwohl sie auf mich, wenn ich sie in anderen Büchern lese, oft befremdlich wirken: Es kommt mir immer so vor, als werde etwas wahrhaft Großes in ein paar knappe, belanglose Worte gepresst.
Ich werde mich, diesem Eindruck entsprechend, kurz fassen. Mein Dank gilt Carlo, Sara, Davide, Mariolina, Dalia, Angela und Paola. Ich danke euch allen, jedem Einzelnen von euch, ihr wisst selbst wofür.
Ich hoffe, dass meine stille Dankbarkeit zu euch dringt wie der leise Schlag der Zeiger einer Uhr, die unaufhaltsam vorrücken und als treue Begleiter unseres Schicksals unweigerlich zum Ausgangsort zurückkehren.
Anmerkungen
Kaltra – aus alb.: »kaltër«, blau.
Quefin – Leichentuch (muslimisch).
Kanun – mündlich überliefertes Gewohnheitsrecht der albanischen Bevölkerung, das sich in den entlegenen, von der Außenwelt abgeschotteten Gebirgsdörfern oft bis in jüngere Zeit halten konnte. Der Kanun von Lekë Dukagjini (benannt nach dem Fürsten Lekë Dukagjini) und der Kanun der Labëria waren jeweils regionale Varianten dieses Rechts.
ein Priester aus dem Exil in Amerika … – gemeint ist der orthodoxe albanische Bischof Fan Noli, der 1924 für kurze Zeit albanischer Ministerpräsident war.
Quilim – Teppich, Webteppich, Kelim.
Xhuma – Freitag, also der Tag, der im muslimischen Glauben dem christlichen Sonntag entspricht.
Nur – Gesichtsausdruck, Glanz.
Minder – Sofa, Diwan, Polsterbank.
Dhallë – traditionelles buttermilchähnliches Getränk.
Revania – süßer Grießkuchen.
Haram – das Sündige, Verbotene, Widerwärtige.
Petulle – albanische Krapfen, die sowohl süß als auch herzhaft sein können.
Kurvëria – Prostitution, sittenloses Verhalten.
Kurva – Dirne, Prostituierte, sittenlose Person.
Kulak – Großbauer, der im Zuge der Agrarreform enteignet wurde.
Hajër – freudiger Ausruf im Zusammenhang mit erfreulichen Ereignissen, dem deutschen »Welch Glück!« vergleichbar.
Llokum – süße Gelee-Pralinen.
Tesbih – islamische Gebetskette.
Byrek – mit Fleisch, Schafskäse oder Gemüse gefülltes Blätterteiggebäck.
Teqe – Derwischkloster (zeremonieller Rückzugsort), Tekke.
Kompekai – albanischer Reispudding.
Gurabie – süßes Maismehlgebäck.
Kadaif – der türkischen Küche entlehntes Dessert aus dünnen, glasnudelartigen Teigfäden mit unterschiedlicher Füllung.
Bakllava – sehr süßes Blätterteiggebäck mit Nuss-, Mandel- oder Pistazienfüllung.
Magjyp – ursprünglich aus Ägypten stammende ethnische Minderheit, die seit dem Osmanischen Reich in Albanien geblieben war.
Graf Ciano – Gian Galeazzo Ciano, Graf von Cortellazzo und Buccari (*1903, †1944) war italienischer Politiker und Diplomat. Seit 1939 mit Mussolinis Tochter Edda verheiratet, hatte er unter Mussolini das Amt des
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