Rot wie Schnee
ins Schloss, und die beiden Männer gingen die Treppe hinunter. Da war Manuel schon an der Haustür. Er lief noch weiter nach unten, dort versperrte ihm eine Tür den Weg. Die Männer kamen immer näher. Manuel presste sich gegen die kühle Tür und hoffte, dass die zwei nicht in den Keller wollten. Er zählte die Stufen. Slobodans schwerer Atem und die helle Stimme des anderen Mannes waren nun ganz in der Nähe.
Als sie die Haustür aufzogen und hinausgingen, konnte Manuel einen Blick auf sie werfen. Der Mann ist aber klein, dachte Manuel. Klein wie ein Mexikaner, lachte er im Stillen. Sie stiegen in einen Mercedes, der Kleine setzte sich ans Steuer.
Sie fuhren aus der Stadt hinaus. Anfangs fiel es Manuel schwer, sich zu orientieren, dann erkannte er aber den Kreisverkehr im Süden der Stadt. Dort war er vorbeigefahren, als er von Arlanda kam.
Slobodan Andersson und der »schwedische Mexikaner« verließen den Kreisel an der dritten Abfahrt. Hinter einem anderen Auto folgte Manuel. Er wurde mit einem Mal ganz ruhig. Wie einfach alles war.
|166| Plötzlich bog der Mercedes in einen Schotterweg ein, überquerte Schienen und fuhr weiter bis zu einem kleinen Haus am Waldrand. Der Wagen hielt davor. Die Männer stiegen aus. Manuel fuhr unterdessen auf der Landstraße weiter, dann bremste er.
Gleich nach einer Kurve fand Manuel einen schmalen Weg, in den er einbog. In einem kleinen Gehölz parkte er den Wagen zwischen Bäumen und Gebüsch. Ideal war es nicht, aber er wollte nicht zu weit fahren und die beiden aus den Augen verlieren. Vermutlich waren sie doch nur zu einer Stippvisite zu dem Haus gefahren.
Auf der anderen Seite des Wegs stand ein Weizenfeld in voller Pracht. Manuel riss eine Ähre ab und kaute auf den Körnern, dabei ging er am Feldrand entlang bis zum Wald. Gebüsch und Steinhaufen versperrten ihm teilweise die Sicht, aber er versuchte, so gut es ging, den Mercedes im Auge zu behalten. Er kam zu einem Weg, der eigentlich nur aus zwei Fahrspuren bestand, dazwischen wuchs Gras. Rechts lag der Acker und links eine Reihe kleiner Häuser. Er ging in die entgegengesetzte Richtung, um die Häuserreihe zu umrunden und sich dem Haus vom Wald her zu nähern. Nach gut hundert Metern bog er in den Wald ein.
Im Schutz der Vegetation begann er zu rennen. Wenige Minuten später stand er etwa dreißig Meter hinter dem Haus. Das Auto war durch die Büsche zu sehen. Manuel versteckte sich hinter einem Baum, und der Duft des klebrigen Harzes brachte seine Gedanken auf den Pfad zum
cafetal,
zur Kaffeepflanzung der Familie.
Während er verschnaufte, prägte er sich den Weg zum Haus ein: ein Schuppen, einige kräftige Bäume, umgeben von blühendem Gebüsch und dahinter eine freie Fläche von etwa fünf Metern, die er ungesehen passieren musste. Auf der Rückseite des Hauses gab es ein Fenster, aber er konnte dahinter keinerlei Bewegung ausmachen.
|167| Manuel rannte zum Schuppen, wartete einige Sekunden, lief geduckt weiter bis zu den Büschen und dann bis zum Haus. Er drückte sich an die Hauswand, horchte. Er meinte, Männerstimmen zu hören.
Vorsichtig schaute er ins Fenster. Slobodan Andersson hatte ihm den Rücken zugewandt. Der andere Mann lehnte sich an die Wand gegenüber und starrte Slobodan an. Der redete und gestikulierte mit beiden Händen. Manuel erkannte die Gesten. Da sollte jemand überredet werden. Der Kleine wandte etwas ein, machte eine abwehrende Bewegung, bekam auf der Stelle Antwort.
Das ging einige Minuten so. Warum sind die hierhergefahren?, fragte Manuel sich. Wollen sie nur diskutieren? Dann hätten sie doch auch in der Stadt bleiben können.
Nach einer Weile kam die Antwort. Der Kleine beugte sich vor, klappte die Sitzbank des Sofas hoch und zog eine Sporttasche heraus. Er stellte sie vor dem Dicken auf den Tisch. Der zog den Reißverschluss auf und steckte die Hand in die Tasche. Der Kleine sah ihm unzufrieden zu.
Manuel ahnte, was in der Tasche war, und beschloss auf der Stelle, seinen exponierten Platz zu verlassen. Er spähte zum Nachbarhaus hinüber, das hinter den Büschen und Bäumen verborgen war. Er konnte jederzeit entdeckt werden. Der Nachbar brauchte bloß auf seine Terrasse zu treten.
Jetzt hatte er ein weiteres Puzzleteilchen. Er kannte das Häuschen, wusste, wie der Kleine aussah und wo er wohnte. Alles ging besser als geplant. Er zog sich an den schützenden Waldrand zurück. An einen Baum gelehnt setzte er sich hin und wartete.
Das konnte er gut – wie sein Volk.
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