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Rot wie Schnee

Rot wie Schnee

Titel: Rot wie Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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seufzte und goss sich Milch ein. Eva beobachtete ihn. Die Hosen sahen inzwischen ziemlich abgewetzt aus. Als er behauptete, das solle so sein, lachte sie laut auf. Wenn abgetragene Kleidung modern war, hatten es arme Schlucker auch einmal leicht.
    »Ich habe einen Job für dich«, sagte Patrik plötzlich.
    Er schmierte sich sein viertes Butterbrot.
    »Was?«
    |21| Patrik schaute sie an, und Eva meinte, in seinen Augen Beunruhigung zu sehen.
    »Simons Mutter hat so was gesagt. Ihr Bruder würde nach Uppsala ziehen. Der hat hier einen Job bekommen.«
    Er trank einen Schluck O’boy.
    »Was hat das mit mir zu tun?«
    »Die brauchen auch eine Bedienung. Er ist Koch.«
    »Das heißt Kellnerin. Nicht Bedienung.«
    »Aber Koch stimmt.«
    »Soll ich als Kellnerin arbeiten? Was hat sie noch gesagt? Hat sie von mir gesprochen?«
    Erneut seufzte Patrik.
    »Was hat sie gesagt?«
    »Du musst einfach selbst mir ihr reden.«
    Er stand mit dem Stück Brot in der Hand auf.
    »Ich geh heute Abend ins Kino.«
    »Hast du denn Geld?«
    Ohne zu antworten, schlurfte er zu seinem Zimmer und machte die Tür hinter sich zu. Eva schaute auf die Wanduhr. Simons Mutter, dachte sie und begann abzudecken, aber bedauerte es sofort. Hugo würde bald von der Schule nach Hause kommen.
    Helen folgte ihr in die Küche und setzte sich an den Tisch.
    »War das Patrik?«
    Eva hatte keine Lust, zu antworten. Helen wusste doch ganz genau, dass er es gewesen war. Plötzlich machte Helens Anblick sie wütend.
    »Du findest, dass ich dir nichts zutraue. Ja, ich weiß schon«, sagte Helen auf einmal unerwartet laut. »Du träumst von Segelbooten und tollen und netten Männern. Aber hast du dabei eine Sache bedacht?«
    Eva starrte sie sprachlos an.
    »Dass du nie was dafür tust. Begreifst du das denn nicht? Es bleibt doch immer beim Reden.«
    |22| »Ich hab mir einen Job besorgt«, sagte Eva.
    »Wie bitte?«
    »Bedienung.«
    »Und wo?«
    »Keine Ahnung«, sagte Eva.
    Helen sah sie an, und Eva meinte, auf ihren Lippen ein Lächeln zu erkennen.
     
    Als Helen gegangen war, goss sich Eva den Rest Kaffee ein und ließ sich auf einen Stuhl sinken. Das ist das Schlimmste, dachte sie, wenn einem nicht geglaubt wird. Oder noch schlimmer, wenn andere einem nichts zutrauen. Helen hatte ja versucht, ihr spöttisches Lächeln zu unterdrücken, denn sie wusste, dass die Freundschaft mit Eva nicht alles vertrug. Aber die aufblitzende Einsicht, dass die Freundin sie in Zukunft hinterlistig an den Kellnerinnenjob erinnern würde, machte sie innerlich wütend. Helen würde sie beiläufig fragen, wie es denn gehen würde, um   … Ja, warum? Um sich überlegen zu fühlen? Um ihre Frustration an Eva auszulassen? Die sollte sich doch mal um ihr eigenes Leben kümmern! Helen hatte keinen Job mehr, seit sie vor einigen Jahren als Tagesmutter aufgehört hatte.
    Sie trank einen Schluck Kaffee. Aus Patriks Zimmer drang Musik. Eva hätte es gern gehabt, wenn er noch länger bei ihr in der Küche geblieben wäre und ein bisschen mehr von dem erzählt hätte, was Simons Mutter gesagt hatte. Allerdings war das wohl auch nicht viel mehr gewesen, vermutete sie.
     
    Sollte ich denn weniger wert sein?, fragte sich Eva Willman, als sie sich bückte, um unter der Spüle eine neue Mülltüte herauszunehmen. Am Boden des Mülleimers lag eine Bananenschale, die in Auflösung begriffen war und sich in eine klebrige, übel riechende Masse verwandelt hatte, in deren |23| matschigbrauner Mitte neues Leben zu entstehen schien. Sie nahm die neue Mülltüte und kippte den Mülleimer aus, stellte ihn auf die Spüle. Dann hockte sie sich davor und starrte dort hinein, wo sich auch das Abflussrohr befand.
    Sie überlegte, ob sie Patrik rufen und ihm zeigen sollte, wie schnell alles schmutzig und verkommen ist, wenn man sich nicht mal um etwas so Einfaches wie den Müll kümmert. Aber warum sollte sie? Ihre Söhne fanden sie doch eh schon nörgelig genug.
    Im Rohr rauschte es. Das kam sicher von der Nachbarin ein Stockwerk über ihr, einer Bosnierin, die vor Kurzem eingezogen war und jetzt wohl abwusch. Das Geräusch erinnerte Eva daran, dass sie nicht allein im Haus lebte.
    Sie sah all die Wohnungen wie Schubladen vor sich, übereinandergestapelt. Fünf Hauseingänge, vier Stockwerke und drei Wohnungen auf jeder Etage. Sechzig Wohnungen. Etwa zehn Mieter kannte sie mit Namen und vielleicht fünfzig nickte sie wiedererkennend zu. Aber Kontakt hatte sie zu niemandem.
    Die Beine taten ihr weh, und sie sank auf

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