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Rot wie Schnee

Rot wie Schnee

Titel: Rot wie Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Kellnerin gegangen war. »Dass du immer noch ein schlechtes Gewissen hast wegen Erik, das ist doch total überzogen! Wenn ich ehrlich sein soll, hast du mir anfangs leidgetan. Aber hol’s doch der Teufel! Du siehst gut aus, bist nett, nein, widersprich mir nicht. Du hast einen guten Job, einen ganz wunderbaren Sohn, und es muss dir finanziell gut gehen, denn du gönnst dir nie etwas. Worauf wartest du? Dass Edvard auf einem Schimmel angeritten kommt? Das tut der nie.«
    »Vor einiger Zeit wollte er, dass ich mit nach Thailand komme«, wandte Ann ein.
    »Aber dann hat er sich von dort eine andere mitgebracht, oder?«
    Lindell bekam ihren Wein. Der Abend hatte sich nicht wie geplant angelassen. Sie war im »Dakar«, um sich ein Bild von dem Restaurant zu machen und damit von dem Wirt, von Slobodan Andersson. Stattdessen war sie den Tränen nahe.
    »Du hast gut reden«, sagte sie. »Du hast deine Schäfchen im Trockenen. Du hast auch nie allein mit einem Kind gelebt.«
    »Erik ist kein Hinderungsgrund, einen anderen Mann kennenzulernen, wann begreifst du das endlich? Es gibt hunderttausend Alleinstehende mit Kind, die neue Partner finden.«
    Lindell sah sich im Lokal um. Immer mehr Gäste kamen, und an der Bar war es voll. Sie studierte die Rücken der Männer am Tresen. Wie eine Horde Tiere am Wasserloch standen |251| sie dort, fand sie, Schulter an Schulter, redeten, lachten und tranken.
    »Ich war mit Charles zusammen«, sagte sie.
    »Und nach einer Weile bist du gegangen«, sagte Görel.
    Görel darf nicht mehr so schnell trinken, dachte Lindell. Sie beschloss, das Gespräch in andere Bahnen zu lenken. Denn wenn Görel Widerspruch hörte, wurde sie erst recht widerspenstig, und Ann konnte nur vermuten, welche Wahrheiten noch zutage treten würden, wenn Görel richtig in Fahrt kam. Ann Lindell wusste, dass die Freundin es gut meinte und dass an ihren Worten etwas dran war. Aber zugleich fühlte sie sich zu Unrecht angegriffen.
    »Ich bin aus beruflichen Gründen hier«, sagte sie leise.
    »Glaubst du, das hab ich noch nicht gemerkt?«
    In dem Moment betrat der Besitzer das Lokal. Er bewegte sich schnell und zielstrebig zur Bar, nutzte eine zufällige Lücke in der Herde vor dem Tresen und ließ sich dort nieder. Die kurzen Beine baumelten vom Barhocker. Der Barkeeper stellte ihm sogleich ein Bier hin.
    Slobodan Andersson hatte Ann und Görel den Rücken zugewandt. Die Freundin drehte sich vorsichtig um und schielte zur Bar hinüber.
    »Ist er das?«
    Ann Lindell nickte und sah, wie Slobodan Andersson den Blick durchs Lokal wandern ließ. Plötzlich starrte er in eine Nische ganz in der Nähe des Tischs der Kollegen aus Västerås. Dort saßen zwei Männer, einer davon war Konrad Rosenberg, dessen Foto sie in der Tasche hatte. Sie hatte ihn nur einmal flüchtig bei einem Verhör gesehen, das war Jahre her. Der andere war ihr unbekannt, er kehrte ihr den Rücken zu. Sie schätzte ihn auf etwa fünfzig. Er war dunkel und gut gekleidet, insbesondere verglichen mit seinem Tischgenossen.
    Die beiden Männer unterhielten sich angeregt, und Lindell glaubte, dass ihnen Slobodan Anderssons Ankunft nicht aufgefallen |252| war. Aber der glitt schnell vom Barhocker und verließ das Lokal. Auf dem Tresen stand noch sein Bier.
    Lindell sah ihm nach. Görel hatte das Weinglas in der Hand und beobachtete das stumme Spiel.
    »Er ist gegangen«, lautete ihr überflüssiger Kommentar. »Sollen wir ihm folgen?«
    Lindell lachte auf und schüttelte den Kopf. Sie überlegte, wer der Bekannte von Konrad Rosenberg war. Offenkundig hatten die zwei viel zu bereden.
    »Ich muss zum Klo«, sagte sie und stand auf.
    Um dorthin zu kommen, musste sie an der Nische vorbeigehen, in der Rosenberg und der Unbekannte saßen, aber auch am Tisch des Kollegen. Sie bemerkte seinen raschen Blick, als sie näher kam, und wie er dann auf den Tisch schaute. Als sie nur noch zwei Meter entfernt war, sah er auf und hob eine Hand, als sei er in eine Diskussion verwickelt.
    »Nein, nein, ich kenne sie nicht«, sagte er laut und sah Lindell vollkommenen ausdruckslos einige Sekunden lang an, schüttelte dann demonstrativ den Kopf und wandte sich seiner Tischdame zu, einer Frau Mitte dreißig.
    Lindell schwebte unverbindlich am Tisch vorbei und ging zu den Toiletten. Der Kollege hatte mit Sicherheit nicht gewollt, dass sie sich zu erkennen gab. Im ersten Moment reagierte sie mit Verwunderung, erst allmählich begriff sie den Zusammenhang. Sie war überzeugt, dass

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