Rot wie Schnee
denn Görel – oder irgendwer sonst –, was er für sie bedeutet hatte? Noch immer konnte sie sich geradezu physisch an seine Hände an ihrem Körper erinnern. Er ist ein guter Mann, dachte sie und war auf einmal schrecklich traurig. Das schlug blitzschnell in Ärger um, als Görel nach der Rechnung greifen wollte. Ann schnappte sich die Rechnung und legte ihre Karte dazu.
»Ich bezahle«, sagte sie kurz angebunden und wich dem Blick der Freundin aus.
Schweigend verließen sie das »Dakar«. Es war erst kurz nach neun. Lindman und seine Begleiterin waren eine halbe Minute vorher aufgebrochen. Ohne sie eines Blickes zu würdigen, war er an Ann Lindells Tisch vorbeigegangen.
Ann sah, wie sie langsam die Straße in Richtung Stora Torget hinaufspazierten. Plötzlich wusste sie nicht, ob der jähe Aufbruch richtig gewesen war. Vielleicht wäre es besser gewesen, im »Dakar« zu bleiben und sich auf Rosenberg zu konzentrieren? Dann hätte sie auch Görel nicht so unfreundlich abhängen müssen.
»Ich glaube, es ist am besten, wir verabschieden uns hier. Ich muss dringend meinen Kollegen erwischen«, sagte sie und deutete auf den Mann. »Das wird dann viel internes Gerede, und es hat keinen Zweck …«
Görel machte auf dem Absatz kehrt und ließ Ann Lindell stehen.
|256| Axel Lindman sah Ann Lindell amüsiert an. Seine Kollegin stellte sich einfach als Elin vor. Sie fand es offenbar weniger amüsant, dass Lindell nun mit dabei war. Vielleicht hatte sie andere Vorstellungen von dem Abend gehabt, als mit einem Orangensaft in einer Hamburgerkneipe zu sitzen.
»Du wirkst, als wärst du in Alarmbereitschaft«, sagte Lindman. »Was hast du im ›Dakar‹ gemacht?«
Lindell sah sich um. Der Teil des Lokals, in dem sie saßen, war so gut wie leer.
»Die Lage peilen«, sagte sie. »Der Kompagnon des Besitzers wurde neulich ermordet. Und du?«
»Wir sind im Auftrag der Stockholmer Kollegen hier«, sagte Elin, und es klang, als hätte der Vatikan sie entsandt.
»Es geht um einen Mann namens Lorenzo Wader«, ergänzte Lindman. »Schon mal gehört?«
»War das der, der Rosenberg gegenübersaß?«
»Rosenberg kennen wir nicht«, sagte die Kollegin aus Västerås.
»Dann ergänzen wir uns ja«, lachte Ann. Elin zerpflückte derweil demonstrativ desinteressiert einen Strohhalm.
Bei Lorenzo Wader ginge es um umfassende Ermittlungen, berichtete Axel Lindman. Geldwäsche, Kunstdiebstahl, Hehlerei und einen Gutteil anderer Aktivitäten. Sowohl Behörden in Stockholm als auch in Västmanland seien eingeschaltet. Die Stockholmer Kripo beobachtete Wader seit einem halben Jahr, und das Risiko, dass der Mann die Stockholmer Beamten erkannte, war zu groß. Deshalb hatten sie sich an die Kollegen aus Västerås gewandt.
Warum nicht an die aus Uppsala?, dachte Lindell, konnte sich die Frage aber im gleichen Augenblick selbst beantworten.
»Er wohnt seit vier Wochen im Hotel Linné«, fuhr Lindman fort, »nennt sich Geschäftsmann und lebt auf großem Fuß. Er scheint …«
|257| »Wer ist Konrad Rosenberg?«, unterbrach ihn Elin.
»Entschuldigung, ich habe Ihren Nachnamen nicht verstanden?«, sagte Lindell.
»Bröndeman«, sagte die Kollegin, und Ann Lindell meinte zu sehen, wie Lindmans Mundwinkel zuckten.
Lindell erzählte von Rosenberg. Die Kollegen hörten zu, ohne sie zu unterbrechen.
»Kokain«, sagte Lindman, als Lindell schwieg. »Unser guter Lorenzo hier ist vielseitig.«
»Was Rosenberg angeht, haben wir nur den Verdacht auf ein kriminelles Delikt, und gegen Wader haben wir noch weniger«, sagte Lindell, »aber klar, das klingt interessant.«
Sie wünschte, Lindman würde mehr Hintergrundinformationen geben, ahnte aber Widerstand vonseiten Elin Bröndemans.
»Wer leitet in Stockholm die Ermittlungen?« Ann hoffte, dass sie den Kollegen kannte.
»Eyvind Svensson«, sagte Lindman und lachte.
Er blickte sich im Lokal um, dann sah er Lindell an, als erwäge er, ob er die Unterredung zu ihrem Auftrag in Uppsala abschließen wolle.
»Wie steht es sonst so?«
Nach Axel Lindmans Gesichtsausdruck zu urteilen, hätte man meinen können, er wolle den unschuldigen Flirt von der Konferenz auf der Polizeihochschule wiederbeleben.
»Es geht rund«, sagte Lindell zerstreut. Ihr war gerade Görel in den Sinn gekommen, und wie sie gegangen war, ohne ein Wort zu sagen.
Aber dann fielen ihr Görels Worte zu Edvard ein. »Ein sozial behindertes Provinzei« und eine »trübe Tasse« hatte sie ihn genannt. Welches
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