Rot
bisschen die Kindersprachenachgeahmt, aber jetzt erzählte sie Vilma manchmal etwas. Das linderte die Sehnsucht.
Kati Soisalo wartete auf Jonny Karlsson und fühlte sich dabei nicht wohl in ihrer Haut.
»Da bist du ja«, sagte Jonny, der von der Pohjoisesplanadi ins Café gekommen war und plötzlich hinter ihr stand. Er trug viel zu große Jeans und eine Kapuzenjacke und hielt ein Glas mit Kaffee in der Hand.
Kati Soisalo bekam einen Kuss auf die Wange, noch bevor sie ein Wort sagen konnte. Schlechter hätte ihr Treffen gar nicht anfangen können. »Wir müssen miteinander reden«, verkündete sie mit ernster Miene.
»Wem sagst du das. Wochenlang hat man von dir nichts gehört. Ich habe schon befürchtet, dass du dich als Einsiedlerin in deine Wohnung zurückziehen willst wegen dieser … Verletzung.« Er zeigte mit dem Finger auf Katis Narbe. »Ist das gut verheilt?«
»Der Anfang ist nach Ansicht des Arztes vielversprechend. Ich renne fast jeden Tag zum Neuropsychologen und zu allen möglichen Rehamaßnahmen. Meine geistige Leistungsfähigkeit hat angeblich nicht sonderlich gelitten, aber die Kopfschmerzen, das Schwindelgefühl und die Schluckbeschwerden machen mir zu schaffen. Und die Müdigkeit auch … oder vielleicht sind es Depressionen. Allerdings weiß ich nicht, ob das an der Kopfverletzung liegt oder daran, dass Vilma immer noch … verschwunden ist.«
Jonny senkte den Blick und nahm einen Schluck von seinem Latte. »Hast du etwas Neues über Vilma gehört?«
»Die Ermittlungen stecken total in einer Sackgasse, zumindest soviel ich weiß. Der Mann, der Vilmas Entführung geplant hatte, ist tot. Nur Jukka Ukkola könnte mir helfen und sagen, wo das Mädchen ist.« Ihr Blick wurde starr. »Bald ist Vilma schon sechseinhalb Jahre alt.«
»Es ist ja schon fast komisch, dass es ausgerechnet Jukka Ukkolawar, der dich gerettet hat«, sagte Jonny. »Mit irgendeinem Schwert, einem Sammlerstück, hat er den Serben umgebracht.«
Kati Soisalos Gesichtsausdruck wirkte nun angespannt, deshalb wechselte Jonny rasch das Thema. »Hast du vor, wieder als Juristin zu arbeiten?«
»Das muss ich mir irgendwann später überlegen, erstmal bin ich noch mindestens drei Monate krankgeschrieben. Ich habe vor, Vilma zu suchen.«
Für eine Weile herrschte am Tisch Schweigen. Kati Soisalo kaute an ihrem Daumennagel und wich Jonnys Blick aus. Schließlich nahm sie allen Mut zusammen, griff nach seiner Hand und bemühte sich, ihn so einfühlsam wie möglich anzuschauen. »Du, Jonny, ich habe lange über uns nachgedacht. Ich glaube, es wäre am klügsten, wenn wir uns trennen. Oder … also die Beziehung beenden. Wir sollten aber Freunde bleiben, wir haben schließlich …«
»Scheiße«, fluchte Jonny Karlsson. Er starrte Kati einen Augenblick verdutzt an, trank sein Glas aus und verließ das Café, ohne ein Wort zu sagen.
Das ist ja toll gelaufen, dachte Kati Soisalo, schloss die Augen und seufzte. Was zum Henker war eigentlich schiefgegangen? Sie hatte doch ihren Rollentext vorher gründlich einstudiert. Und warum war Jonny wütend geworden, auch er sah ja wohl ein, dass ihre Beziehung nicht zu etwas Festem führen würde. In den zwei Jahren, die sie zusammen waren, hatten sie kein einziges Mal von einer gemeinsamen Zukunft gesprochen. Sie war vierzehn Jahre älter als Jonny und hatte ihn überdies im Spätsommer zweimal mit Leo Kara betrogen. Für eine dauerhafte Beziehung taugte sie einfach nicht mehr. Die spärlichen Überreste ihrer Energie musste sie jetzt für die Suche nach ihrer Tochter einspannen. Es schien unmöglich zu sein, dass Vilma noch gefunden wurde, nur ein kleiner Hoffnungsfunke flackerte noch in ihrem Herzen. Und damit er nicht erlosch, musste sie ihn immer wieder entfachen, mit Erinnerungenan ihre schönsten gemeinsamen Erlebnisse: die Reise in den Freizeitpark Muminwelt, ihre Ausflüge in den Helsinkier Zoo und zum Pilzesuchen und das Gefühl, mit Vilma im Arm einzuschlafen. Sie trocknete sich die Augen. Ihre Stimmung verdüsterte sich noch mehr, als sie draußen einen alten Bettler sah, einen Rom, der sie mit vorwurfsvollem Blick anschaute.
Sie nahm ihre Umhängetasche, verließ das Café und beschloss, die etwa zwei Kilometer bis zu ihrer Anwaltskanzlei in Hietalahti zu laufen. Sie musste ihre Post durchsehen. Es ärgerte sie, dass sie nicht fähig gewesen war, Jonny ihre Entscheidung sachlicher mitzuteilen. Sie hatte nicht die Absicht gehabt, ihn wütend zu machen. Ohne seine Hilfe würde sie
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