Rot
weil er am Nachmittag eine Dienstreise nach Lateinamerika antrat. Kara war ausnahmsweise vorzeitig in der UNO-City eingetroffen. Plötzlich klingelte sein Handy – »Unbekannte Nummer«. Er zögerte einen Augenblick, meldete sich dann aber.
»Rechtsanwalt Ville Kärävä aus Helsinki, spreche ich mit Leo Kara?«
»In welcher Angelegenheit rufst du an?« Kara dachte fieberhaft nach, konnte sich jedoch nicht erinnern, irgendwann einen Ville Kärävä getroffen oder den Namen gehört zu haben.
»Vielleicht ist es am besten, wenn ich sofort zur Sache komme.Sehe ich das richtig, dass du in letzter Zeit bei deiner Arbeit auf eine Organisation gestoßen bist, die Kabinett genannt wird?«, fragte Kärävä.
»Warum fragst du?«
»Auf Bitten meines Mandanten. Das Kabinett betreffende Unterlagen sind in seine Hände gelangt. Wegen seiner beruflichen Tätigkeit kann mein Mandant nicht selbst Kontakt zu den Behörden aufnehmen, deshalb will er dich um Hilfe bitten.«
»Um Hilfe welcher Art?«
»Mein Mandant hofft, dass du seine Informationen der Polizei übermittelst.«
»Warum wird dafür ein Vermittler gebraucht«, entgegnete Kara schroff. »Kann man diese Unterlagen nicht der KRP oder SUPO faxen oder per Post schicken? Und wo habt ihr von mir und meiner Arbeit erfahren?«
Kärävä schwieg einen Augenblick. »Die Situation ist ziemlich kompliziert. Die Informationen in den Dokumenten, die sich im Besitz meines Mandanten befinden, sind äußerst brisant. Das alles ließe sich leichter erklären, wenn man sich gegenüber sitzt. Kommst du zufällig in der nächsten Zeit nach Finnland?«
»Aller Voraussicht nach nicht«, antwortete Kara, in diesem Zustand wäre er niemandem eine Hilfe.
»In den Unterlagen meines Mandanten wird auch dein Vater erwähnt.«
Jetzt war Karas Interesse geweckt. »Wie viel weiß dein Mandant, hat er …«
»Alles«, versicherte Ville Kärävä.
Kara schaute kurz auf seine Uhr. »Ich bin gerade auf dem Weg zu einem Treffen, aber schick mir eine SMS mit deiner Telefonnummer, ich komme darauf zurück«, sagte er, beendete das Gespräch und rannte los.
Kurz danach betrat er mit Erlaubnis der Sekretärin das Zimmer des Generaldirektors in der 13. Etage des Hauses E. Ihm fiel ein,wie er sich hier mit Gilbert Birou, dem ehemaligen UNODC-Chef, beharkt hatte. Egal, was sein neuer Vorgesetzter für ein Mensch war, schlimmer als mit Birou konnte es nicht werden.
Kara roch Preben Leegaards Rasierwasser schon, bevor der Generaldirektor hereinkam. Sie gaben sich die Hand. Auf der Nase und den Wangen des kleingewachsenen Dänen schlängelten sich dunkle Äderchen, seine Augen sahen trübe aus und das Gesicht geschwollen, auf seiner Stirn perlten kleine Schweißtropfen, obwohl die Klimaanlage in der 13. Etage immer für angenehm kühle Temperaturen sorgte. Der Generaldirektor deutete mit der Hand auf das Sofa und Kara setzte sich.
»Ich habe viel von dir gehört«, sagte Leegaard.
»Bestimmt nur Gutes«, erwiderte Kara zurückhaltend.
»Für dein Alter hast du einen glänzenden beruflichen Werdegang : Vier Jahre im Konfliktforschungsinstitut GCG, drei Jahre beim MI5 und dann das UNODC. Du kommst nicht sonderlich gut mit deinen Kollegen aus, aber wie zu hören war, bringst du Ergebnisse zustande. Das mag ich. Ich bin selbst auch nicht der Typ Verbindungsbeamter, anders als mein Vorgänger. Deine Arbeit im letzten August haben sowohl die finnischen Behörden als auch Betha Gilmartin vom britischen Auslandsnachrichtendienst gelobt.«
Kara wusste nicht, was er sagen sollte. Er bekam Lob von seinem Vorgesetzten, das war für ihn etwas völlig Neues. Leegaard saß in einem Sessel und knetete sein Bein, anscheinend fühlte er sich nicht gut.
»Ich habe deine Berichte über die Ereignisse im August gelesen.« Der Generaldirektor klopfte mit dem Finger auf die Unterlagen, die sich vor ihm auf dem Couchtisch stapelten. »Deine finnische Helferin wurde niedergeschossen, Betha Gilmartin vom SIS – wenn ich das richtig verstehe, eine gute Freundin von dir – wäre fast an einem Herzanfall gestorben, und du selbst hast auch Schweres durchgemacht. Laut ärztlichem Gutachten leidest duunter einer Frontallappenverletzung, die dazu führt, dass du dich aggressiv und unberechenbar verhältst. Bist du wirklich der Meinung, du kannst deine Arbeit wieder aufnehmen?«
Kara fiel der Anruf des Anwalts ein. »Ich bin tatsächlich nicht in allerbester Verfassung … eher weit davon entfernt. Aber meine Krankschreibung
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