Rote Gruetze mit Schuss
Swaantje Ketels war nirgendwo stationär aufgenommen worden. Was hatte Brodersen mit ihr gemacht? Er wollte sie doch ins Krankenhaus fahren, nach Husum. So hatte Hauke ihn verstanden. Aber da ist sie nie angekommen. Das schlechte Gewissen nagt an ihm. Schließlich hatte er Swaantje angefahren. Sie ist doch nicht etwa tot? DasSchlimme ist, dass er sich an vieles nicht mehr erinnern kann. Die Joints aus Bountys neuer Ernte hatten wirklich eine nachhaltige Wirkung gehabt.
Heute Morgen hatte er sich noch gefragt, ob die Polizei auf der von-Rissen-Wiese wegen Swaantje angerückt war. Als seine Tante Telse ihm dann erzählte, dass man Brodersen tot in seinem Häcksler aufgefunden hatte, verstand er gar nichts mehr. Irgendwie wurde ihm die Sache langsam unheimlich. Zuhause fiel ihm die Decke auf den Kopf. Außerdem befürchtete er, dass sein spezieller Freund, Dorfbulle Thies Detlefsen, bei ihm aufkreuzen würde. So zog der Schimmelreiter es vor, ziellos durch das Gewitter zu fahren, Richtung Dänemark und wieder zurück.
Nach Hause wagt sich Hauke jetzt nicht. So fährt er erst mal bei Bounty vorbei. Bounty guckt zwar in »De Hidde Kist« regelmäßig zusammen mit Thies Fußball, aber gegenüber dem Polizeibeamten Thies ist er verschwiegen wie ein Grab. Dafür hat er selbst zu viel zu befürchten wegen seiner illegalen gärtnerischen Betätigung.
Die alte Kate von Bounty liegt außerhalb des Ortes an der schmalen, wenig befahrenen Straße in Richtung Reusenbüll. Früher hatte hier mal eine berühmte Kommune gewohnt, deren ständig wechselnde Besetzung von den Fredenbüllern mit wachem Interesse registriert wurde. Bis zu fünfzehn Leute hatten in der Kate mit dem hohen Heuboden gehaust. Nach einigen Jahren hatte sich die Landkommune dann aufgelöst. Die einzelnen Mitglieder waren in alle Winde zerstreut, nach Indien oder ins Schanzenviertel, sie waren Lehrer geworden, Heilpraktiker oder Verwaltungsangestellte,was ehemalige Hippies eben so werden. Bounty ist als einziger übrig geblieben.
Der Altkommunarde geht keiner geregelten Tätigkeit nach, aber er ist immer schwer beschäftigt. Das Haus befindet sich seit Jahren im permanenten Umbau. Eine Palette mit Steinen oder Sandsäcken hat er eigentlich immer im Flur stehen. Seit zwei Jahren gammeln drei Nachtspeicherheizungen im Vorgarten vor sich hin. Die Fredenbüller sehen es gelassen. »Dat büschen Asbest verweht sich in der frischen Nordseeluft«, sagt Piet Paulsen.
Die letzten beiden Ernten und vor allem deren Direktvermarktung im gesamten norddeutschen Raum haben seinen ganzen Einsatz gefordert. Bounty hält sich bei der Gärtnerei nicht mit Topfpflanzengröße auf. In dem luftigen Dachboden hängt eine ganze Plantage abgeernteter meterhoher Hanf bäume zum Trocknen.
Als Hauke Schröder seinen Wagen vor der Kate an der Reusenbüller Drift stoppt, kommt psychedelischer Synthesound aus dem Haus. Hauke ist beruhigt, weil Bounty zu Hause zu sein scheint.
Der Gitarrist von »Stormy Weather« lötet gerade die Stecker seiner Verstärkerkabel, als Hauke sich durch eine Batterie von Müllsäcken ins Haus kämpft.
»Bounty, ich muss mal kurz bei dir abtauchen für heute.« So cool, wie er es selbst gern hätte, klingt der Schimmelreiter nicht.
»Alles easy, komm rein.«
»Vor allen Dingen müsste meine Kiste mal zügig von der Straße verschwinden.«
»Oha, was is ’n passiert?«
»Echt krasse Geschichte. Weiß auch nicht. Ich blick irgendwie nich durch ...«
»Ist jetzt nich unbedingt was Neues.«
»Auf alle Fälle muss der Wagen verschwinden.« Hauke klingt panisch.
Bounty, im gestreiften Overall, den Lötkolben in der einen, die Zigarette in der anderen Hand, ist die Ruhe selbst. »Fahr einfach in die Scheune ... is offen.«
Das schief hängende Holztor knarrt bedenklich, als Hauke den Schuppen öffnet. Drinnen stehen haufenweise Sperrmüll und Bountys blassblaue Zündapp-Zweigang aus den Sechzigern. Er sieht sich unsicher um, ob er beobachtet wird. Besonders wahrscheinlich ist das hier draußen bei der alten Kate nicht. Als er aus dem Schuppen zurückkommt, ist Bounty immer noch mit dem Verstärkerkabel beschäftigt.
»Sach mal, Alter, können wir die Musik ausmachen?« Der Schimmelreiter ist fertig mit den Nerven.
»Zu laut, oder was?« Bounty muss grinsen.
»Nee, is der Sound ... diese Hippie-Mucke macht mich irgendwie nervös.«
»Lieber die Stones? ›Sticky Finger‹ und ’n schönes Sonntagnachmittags-Tütchen dazu?«
»Weiß nich.«
So
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