Rote Gruetze mit Schuss

über den Croque her, und Thies versucht, den Deckel von den Kaffeebechern herunterzubekommen.
    »Echt cool, der Croque.« Nicole wischt sich die herauslaufende Mayonnaise aus dem Mundwinkel. »Was ist da eigentlich drauf?«
    »Spezialrezept von Antje. Lecker, oder?«Als die beiden in dem Zivil-Mondeo der Kommissarin zum Gut von Brodersen fahren, hat es aufgehört zu regnen. Ein kräftiger Nordwest treibt ein paar hellviolette Wolkentürme über den Deich. Ein Schwarm Eiderenten zieht lauthals schnatternd über Fredenbüll hinweg. Das Thermometer ist um die Hälfte gefallen. Der Gestank der Gülle von heute Morgen ist wie weggeblasen.
    Die Schiefertafel mit der Aufschrift »Dinkelkissen: Hier!« ist in den Graben geweht. Durch das heftige Gewitter sind die Blüten von der alten Kastanie heruntergeregnet. Auf dem Kopfsteinpflaster vor dem Hof stehen Pfützen. Etwas abseits ist Brodersens Landrover geparkt. Der Hofladen sieht geschlossen aus.
    »Toller alter Hof.« Nicole ist beeindruckt. »Das ist ja wirklich ein gewaltiges Reetdach. Alles so hübsch restauriert.« Sie schiebt ihre Sonnenbrille ins Haar.
    »Ja, schöner Hof«, stimmt Thies ihr zu und senkt gleich darauf die Stimme: »Aber über Lara Brodersen darfst dich nich wundern. Sie ist ’n büschen ... weißt schon.«
    KHK Stappenbek klopft an der großen Tennentür. Keine Reaktion.
    »Normal ist offen«, sagt Thies und drückt die alte schmiedeeiserne Klinke. Die Tür ist tatsächlich offen, die beiden Polizisten stehen in einer großen, mit roten Backsteinen gefliesten Diele. Mitten im Raum steht ein alter Pflug. An den Fachwerkwänden hängt traditionelles landwirtschaftliches Gerät. Auf den Holzbänken davor liegen Zierkürbisse. Aus einem Nebenraum kommen sphärische Harfenklänge. Ein undefinierbaresDuftgemisch wabert durch den Raum. Nicole zieht zweimal die Luft durch die Nase und macht ein Gesicht, als ob sie gleich niesen muss.
    »Lara, bist du da?«, ruft Thies. »Hier spricht die Polizei ... also, ich bin das ... Thies.«
    Thies und Nicole Stappenbek stehen etwas unschlüssig in der Diele.
    »Meditiert wahrscheinlich grad.« Thies klopft an der Tür zu den Wohnräumen. »Lara?!«
    In dem Moment öffnet sich die Tür, die zu der kleinen Werkstatt führt. Kalkweiß im Gesicht und mit wirrem Haar schwebt Lara Brodersen in die Diele. Unter ihrem weißen Gewand trägt sie heute purpurrote Pluderhosen.
    »Was wollt ihr denn jetzt hier?«, säuselt sie. »Wann bringt ihr mir Jörn?«
    »Lara, wir haben noch ein paar Fragen. Das ist KHK Stappenbek aus Kiel.«
    »Stappenbek«, stellt sich Nicole vor. Sie bemüht sich um ein freundliches Lächeln und reicht Lara Brodersen die Hand. Lara ignoriert sie.
    »Was bilden Sie sich eigentlich ein. Mein Mann ist verunglückt, ich habe ein Recht darauf, in aller Stille zu trauern.« Laras Stimme ist auf einmal ungewohnt laut. Von Stille kann so oder so keine Rede sein, findet Thies, in Anbetracht der Harfenklänge, die aus dem Nebenzimmer ertönen.
    »Es tut uns leid, dass wir Sie stören«, sagt die Kommissarin. »Wir wollen es möglichst kurz machen. Eine Erkenntnis haben wir schon. Es war kein Unfall, durch den Ihr Mann ...«
    »Jörn ist erschossen worden«, funkt Thies dazwischen. »Großes Kaliber, wahrscheinlich Jagdgewehr.«
    Nicole sieht zu Thies und schnupft einmal kurz.
    »Erschossen?« Lara Brodersen starrt ins Leere. Zur Harfenmusik setzen dumpfe, leicht verzerrte Trommelschläge ein. »Wann bekomme ich Jörn? Ich möchte ihn mit Kräutern schmücken und eine Totenwache halten, das ist mein gutes Recht.«
    »Lara, du machst dir da falsche Vorstellungen, der Mähdrescher hat ihn, wie soll ich sagen ...?«
    Nicole wirft Thies einen ermahnenden Blick zu.
    »Erschossen? Im Mähdrescher? ... Wo ist Jörn?« Lara blickt entsetzt.
    »In Kiel«, antwortet Thies prompt.
    »Was der Kollege meint, wir müssen noch die Untersuchungen der Kriminaltechnik abwarten.« Die Kommissarin bemüht sich, mit der Witwe etwas schonend umzugehen. »Wie gesagt, wir ermitteln hier in einem Mordfall, und da haben wir noch ein paar Fragen.«
    »Ich kann Ihnen nicht weiterhelfen. Das hab ich Thies schon gesagt.«
    »Herr Detlefsen hat mir erzählt, Sie haben Ihren Mann zuletzt am Freitagabend gesehen.«
    »Wenn ich das gesagt habe, war es wohl so.« Lara schwebt wieder, trotzdem wirkt sie erstaunlich wach.
    Nicole niest in den Ärmel ihrer Lederjacke. »So genau erinnern Sie sich aber offensichtlich nicht mehr?«
    »Thies weiß das,