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Rote Lilien

Rote Lilien

Titel: Rote Lilien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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das, unter der du mit Daddy gesessen hast?«
    »Oh, das war ein wunderschöner alter Baum ganz hinten im Garten, hinter den Ställen.« Sie deutete zu den ܟberresten der Gebäude. »John wollte dann später wiederkommen und unsere Initialen in den Stamm ritzen. Aber in der darauf folgenden Nacht ist der Blitz in den Baum eingeschlagen und hat ihn in zwei Hälften gespalten - o mein Gott.«
    »Amelia«, sagte er leise. »Es muss Amelia gewesen sein. Bis jetzt ist es mir noch nie aufgefallen, aber ich kann mich noch daran erinnern, dass es kein Gewitter gegeben hatte. Die Dienstboten waren ganz außer sich, weil der Blitz in den Baum eingeschlagen ist, obwohl es gar keinen Sturm gegeben hatte.«
    »Dann hat sie also damals schon ğrger gemacht«, meinte er.
    »Wie gemein von ihr. Was habe ich um diesen Baum geweint. Unter seinen Zweigen habe ich mich verliebt, und als die Gärtner das Holz weggeschafft und den Stamm herausgezogen haben, habe ich wie ein Schlosshund geheult.«
    »Fragst du dich nicht manchmal, ob es noch mehr gegeben hat? Kleine Bosheiten, die für uns eine Laune der Natur oder ein Zufall waren, während wir sie die ganze Zeit für harmlos gehalten haben?« Er sah zum Haus hin und dachte daran, wie viel es ihm bedeutete - und dass dort jemand umging, der schon lange vor seiner Geburt dort gewohnt hatte. »Eigentlich ist sie nie harmlos gewesen.«
    »Sie hat so viel Hass und Wut in sich.«
    »Und hin und wieder brechen sie aus ihr heraus, wie Wasser, das durch einen Riss in einem Damm sickert. Aber inzwischen kommt immer mehr Wasser durch. Und wir können den Riss im Damm nicht schließen. Wir können nur dafür sorgen, dass sich der See vor dem Damm bis zum letzten Tropfen leert.«
    »Aber wie?«
    »Ich glaube, wir werden den Damm zerstören müssen, solange wir noch den Hammer in der Hand halten.«
    Es war schon fast dunkel, als Hayley durch den Garten ging. Ihre Tochter schlief, und den Empfänger des Babyfons hatte sie in die Obhut von Roz und Mitch gegeben. Harpers Wagen stand auf seinem Parkplatz, also musste er hier irgendwo sein. Im Kutscherhaus war er allerdings nicht, denn sie hatte geklopft und dann den Kopf zur Tür hineingesteckt und nach ihm gerufen. Schließlich klebten sie ja nicht wie Pech und Schwefel zusammen, ermahnte sie sich. Aber er war nicht zum Abendessen geblieben. Er hatte gesagt, dass er noch etwas erledigen wolle und vor Einbruch der Dunkelheit wieder zurück sei.
    Jetzt war es schon fast dunkel, und sie fragte sich, wo er steckte. Sie genoss es, in der Dämmerung im Garten spazieren zu gehen. Selbst unter diesen Umständen. Es wirkte beruhigend, was sie auch bitter nötig hatte, denn nachdem Harper ihr die Geschichte des Armbands erzählt hatte, hatte sie sie nicht mehr aus dem Kopf bekommen. Sie kamen der Lösung des Rätsels immer näher, da war sie sich sicher. Aber sie war sich nicht mehr so sicher, dass das Ganze still und leise enden würde. Vielleicht würde sich Amelia dagegen wehren, ihre letzte Verbindung zu dieser Welt aufzugeben und in die nächste überzuwechseln. Es gefiel ihr, im Körper eines anderen Menschen zu wohnen.
    Falls man das überhaupt wohnen nennen konnte. Vielleicht war teilen ein besserer Ausdruck dafür. Oder hindurchgleiten. Egal, wie man es nannte, Amelia gefiel es, da war Hayley sich sicher. Und sie war auch überzeugt davon, dass dieser Zustand für Amelia so neu war wie für sie selbst. Falls es noch einmal geschehen sollte, wollte sie sich dagegen wehren und die Kontrolle nicht so leicht aus der Hand geben. Und war nicht genau das der Grund dafür, warum sie jetzt in der Dämmerung ganz allein hier draußen herumspazierte? Hayley versuchte gar nicht erst, sich einzureden, dass es Zufall war. Sie forderte Amelia heraus.
    Sie wollte wissen, ob sie ihr gewachsen war, wenn niemand in der Nähe war, um einzugreifen.
    Oder verletzt zu werden. Aber nichts geschah. Sie fühlte sich vollkommen normal und ganz sie selbst. Und sie war auch ganz sie selbst, als sie ein Geräusch zwischen den Schatten hörte und vor Schreck zusammenzuckte. Sie blieb stehen und überlegte, ob sie flüchten oder bleiben sollte. Das rhythmische, sich wiederholende Geräusch kam ihr irgendwie bekannt vor. Es klang wie ... nein, das war unmöglich. Trotzdem klopfte ihr das Herz bis zum Hals, während sie weiterging und dabei eine geisterhafte Gestalt vor Augen hatte, die ein Grab schaufelte. Amelias Grab. Es wäre möglich.
    Vielleicht war das die Lösung des Rätsels.

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