Rote Lilien
Reginald hatte sie umgebracht und irgendwo auf dem Grundstück verscharrt. Und jetzt würde sie herausfinden, wo das Grab war - auf nicht geweihtem Boden. Sie könnten es segnen lassen oder einen Grabstein aufstellen oder - sie würde nachsehen, was in solchen Fällen zu tun war. Und dann würde der Spuk im Harper House ein Ende haben. Sie schlich sich leise durch die ßberreste der Ställe und blieb dabei so nah wie möglich am Gebäude. Ihre Handflächen wurden feucht, und ihr Atem dröhnte wie Donner in ihren Ohren. Sie bog um die Ecke des Gebäudes und folgte dem Geräusch, wobei sie damit rechnete, jeden Augenblick einen Heidenschreck zu bekommen. Und da sah sie Harper, der sein T-Shirt ausgezogen und auf den Boden geworfen hatte. Er hielt eine Schaufel in der Hand und grub ein Loch. Ihre Anspannung löste sich so plötzlich, dass sie laut ausatmete. »Mein Gott, Harper, du hast mich zu Tode erschreckt. Was machst du da?« Er fuhr fort, die Schaufel in den Boden zu rammen und die Erde auf einen Haufen neben sich zu türmen. Obwohl Hayley immer noch ein wenig nervös war, verdrehte sie genervt die Augen und ging zu ihm hinüber. »Ich habe gesagt ...« Er sprang fast einen halben Meter in die Luft, als sie ihm auf die Schulter tippte. Als sie vor Schreck aufschrie, wirbelte er herum und schwang die Schaufel wie einen Baseballschläger über die Schulter. Es gelang ihm gerade noch, den Schwung abzufangen. Er fluchte wie ein Droschkenkutscher, als Hayley stolperte und hart auf dem Hintern landete. »Herrgott noch mal!« Er nahm die Kopfhörer ab.
»Warum zum Teufel schleichst du hier in der Dunkelheit herum?«
»Ich bin nicht herumgeschlichen, ich habe gerufen. Und wenn du die Musik nicht so laut gestellt hättest, hättest du es auch gehört. Ich dachte schon, du wolltest mich mit der Schaufel da erschlagen. Ich dachte ...« Sie fing an zu kichern, gab sich aber alle Mühe, es zu unterdrücken. »Du hättest dein Gesicht sehen sollen. Deine Augen waren sooo groß.« Mit Daumen und Zeigefinger deutete sie große Kreise an und brach in lautes Gelächter aus, als er ihr einen wütenden Blick zuwarf. »Oh, ich mach mir gleich in die Hose. Moment.« Sie kniff die Augen zusammen und versuchte, sich das Lachen zu verkneifen. »Okay, alles wieder unter Kontrolle. Nachdem du mich umgeworfen hast, könntest du mir wenigstens aufhelfen.«
»Ich habe dich nicht umgeworfen. Aber es war ganz schön knapp.«
Er hielt ihr die Hand hin und zog sie hoch. »Ich dachte, du wärst Reginald, der Amelias Grab schaufelt.« Er schüttelte den Kopf, stützte sich auf die Schaufel und starrte sie an. »Und deshalb bist du hergekommen? Um ihm beim Graben zu helfen?«
»Ich musste doch nachsehen. Und warum in aller Welt gräbst du hier im Dunkeln ein Loch?«
»Es ist noch nicht dunkel.«
»Du hast selbst gesagt, dass es dunkel ist, als du mich angebrüllt hast. Was machst du hier?«
»Ich spiele Third Baseman für die Atlanta Braves.«
»Ich verstehe nicht, warum du so sauer bist. Schließlich habe ich mich auf den Hintern gesetzt und mir fast in die Hose gemacht.«
»Tut mir Leid. Hast du dir wehgetan?«
»Nein. Pflanzt du etwa einen Baum?« Erst jetzt fiel ihr auf, dass neben dem Loch eine schlanke, junge Weide stand. »Warum pflanzt du hier hinten einen Baum, und das auch noch um diese Zeit?«
»Er ist für meine Mutter. Sie hat mir gestern erzählt, wie sie mal aus dem Haus geschlichen ist, um sich mit meinem Vater zu treffen, und wie sie dann hier draußen unter einer Weide gesessen und sich unterhalten haben. An diesem Abend hat sie sich in ihn verliebt. Und am Tag darauf hat der Blitz in die Weide eingeschlagen. Das war Amelia«, sagte er, während er noch eine Schaufel voll Erde auf den Haufen neben sich warf. »Mutter ist es bis jetzt noch nie aufgefallen, aber es spricht alles dafür. Und deshalb pflanze ich jetzt eine neue Weide für sie.« Sie stand eine Weile schweigend da, während sein Blick von dem Loch in der Erde zum Wurzelballen des Baums und wieder zurückwanderte. Dann grub er noch etwas tiefer. »Das ist furchtbar lieb von dir, Harper. Kann ich dir helfen, oder möchtest du es lieber allein tun?«
»Das Loch ist schon groß genug. Aber du kannst mir helfen, den Baum zu setzen.«
»Ich habe noch nie einen Baum gepflanzt.«
»Das Loch sollte etwa dreimal so breit wie der Wurzelballen sein, aber nicht tiefer. An den Wänden des Lochs lockert man die Erde, damit die Wurzeln Platz haben, sich
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