Rote Lilien
auf seine Arbeit konzentrieren konnte und nicht gestört wurde. Er war schon an den Portulakröschen vorbei, als jemand seinen Namen rief. Ich hätte die Kopfhörer auflassen sollen, dachte er, doch dann drehte er sich um und setzte sein Kundenlächeln auf. Die Brünette vor ihm hatte einen ausgesprochen kurvigen Körper, den er schon mehrmals nackt gesehen hatte. Sie trug hüfthoch geschnittene Shorts und ein enges bauchfreies T-Shirt, dessen Schnitt jedem Mann ein Dankgebet für die Augusthitze entlocken würde. Mit einem lauten Schrei stellte sie sich auf die Zehenspitzen, schlang die Arme um seinen Hals und drückte ihm einen herzhaften Kuss auf den Mund. Sie schmeckte immer noch nach Kirschen, was eine Flut von Erinnerungen auslöste. überrascht zog er sie an sich, doch gleich darauf trat er einen Schritt zurück, um sie sich ansehen zu können. »Dory, was machst du denn hier? Wie geht es dir?«
»Hervorragend. Ich bin gerade wieder hergezogen. Erst vor ein paar Wochen. Ich habe einen Job bei einer PR-Firma in Memphis. Miami ist mir irgendwann auf die Nerven gegangen, und ich hatte wohl auch Heimweh.« Er hatte den Eindruck, als hätte sie ihre Frisur geändert, seit sie sich zum letzten Mal gesehen hatten. Frauen änderten ja ständig ihre Frisur. Aber da er sich nicht ganz sicher war, sagte er einfach nur: »Du siehst großartig aus.«
»Ja, und es geht mir auch großartig. Und du erst - so braun gebrannt und muskulös. Ich wollte dich anrufen, aber ich war mir nicht sicher, ob du noch in diesem süßen kleinen Häuschen wohnst.«
»Ich lebe immer noch dort.«
»Das hatte ich gehofft. Ich liebe dieses Häuschen. Wie geht's deiner Mutter und David und deinen Brüdern und oh, allen anderen eben.« Sie lachte laut und breitete die Arme aus. »Ich komme mir vor, als hätte ich die letzten drei Jahre auf dem Mars gewohnt.«
»Alles bestens. Mutter hat vor ein paar Wochen geheiratet.«
»Ja, das hat mir meine Mutter erzählt. Sie hält mich mit dem Klatsch und Tratsch auf dem Laufenden. Und ich habe auch gehört, dass du es noch nicht gewagt hast.«
»Was noch nicht gewagt? Oh, nein, nein, ich bin nicht verheiratet.«
»Ich dachte, du und ich könnten mal wieder über die alten Zeiten reden.« Dory legte ihm die Hand auf die Brust. »Ich würde mich so freuen, dein Häuschen wieder zu sehen. Ich hol uns was vom Chinesen und kauf eine Flasche Wein. So wie früher.«
»Ähm, also ...«
»Dann können wir meine Heimkehr feiern. Und ich könnte mich damit bei dir bedanken, dass du mir jetzt hilfst, ein paar Zimmerpflanzen für meine neue Wohnung auszusuchen. Das machst du doch, nicht wahr, Harper? Ich brauche unbedingt ein paar schöne Pflanzen.«
»Klar doch. Ich meine, natürlich helfe ich dir dabei, ein paar Pflanzen auszusuchen. Aber ...«
»Puh, ist das heiß hier. Was hältst du davon, wenn wir reingehen? Du kannst mir erzählen, was in letzter Zeit bei dir los war, während du mir bei den Zimmerpflanzen hilfst. Aber spar dir die spektakulären Sachen für später auf.« Sie nahm seine Hand und zog ihn mit sich. »Ich habe dich vermisst«, fuhr sie fort. »Wir hatten ja kaum Gelegenheit, uns miteinander zu unterhalten, als ich letztes Jahr für ein paar Tage hier gewesen bin. Damals war ich mit diesem Fotografen zusammen, weißt du noch? Ich hab dir von ihm erzählt.«
»Ja, hast du.« Beiläufig. Ganz beiläufig. »Und ich ...«
»Das ist aus und vorbei. Ich weiß nicht, warum ich ein Jahr meines Lebens an einen derart egoistischen Mann verschwendet habe. Es ging immer nur um ihn, du weißt schon, was ich meine. Was in aller Welt soll ich mit so einem tief schürfenden Künstlertyp?«
»Ich ...«
»Also habe ich ihm und Miami auf Wiedersehen gesagt. Und hier bin ich.« Als sie in einem der Verkaufsräume standen, drehte sie sich um und steckte die Hände in die Gesäßtaschen seiner Jeans. Eine alte Gewohnheit von ihr, die ihn an einige denkwürdige Augenblicke erinnerte. »Ich hab dich so schrecklich vermisst, Harper. Du freust dich doch, mich zu sehen?«
»Natürlich freue ich mich. Dory, die Sache ist die, ich habe eine Freundin.«
»Oh.« Sie zog einen Schmollmund. »Was Ernstes?«
»Ja.«
»Oh. Na ja.« Dory ließ ihre Hände noch einen Moment in seinen Taschen und zog sie dann heraus. Sie gab ihm einen Klaps auf den Hintern. »Ich hatte mir schon gedacht, dass es mit dem Teufel zugehen müsste, wenn du gerade solo wärst. Wie lange seid ihr schon
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