Rote Sonne über Darkover - 5
den Staub von den Schenkeln. Die Stute spitzte unbesorgt in milder Neugier die Ohren nach ihm. Rorie zog seine behelfsmäßige Schwertscheide durch seinen Ledergürtel, schwang sich auf den Rücken des Pferdes und hoffte entgegen aller Vernunft, daß er von diesem erhöhten Aussichtspunkt imstande sein werde, die Richtung zu erkennen, aus der sie gekommen waren.
Es hatte keinen Zweck. Grauer Staub, graue Hügel, graue Überreste des Pflanzenlebens erstreckten sich so weit in allen Richtungen, wie seine Augen sehen konnten. Auch hatte der pulverfeine Staub keine Hufabdrücke aus der vergangenen Nacht bewahrt. Die rote Sonne war irgendwo hinter Wolkenschleiern verborgen, die Luft kühl und dumpf. Die Stille kam Rorie unnatürlich vor.
Er faßte das Ende des Halfterstricks und ermunterte die Stute zum Gehen, machte jedoch keinen Versuch, sie zu führen. Ihr Instinkt mochte sie vor den heimtückischen Gefahren dieses Ortes nicht warnen, aber wenn er sie laufen ließ, wohin sie wollte, würde sie bestimmt Wasser und Weideland finden, einen Weg hinaus aus diesem Alptraum. Vielleicht gab es immer noch ein bißchen Hoffnung … Er glaubte allerdings nicht daran.
Die Zeit schien stillzustehen, während Mann und Pferd durch diese unbeschreiblich trostlose und stille Landschaft wanderten.
Rories Gehirn reagierte träge, als habe sich ein Teil von ihm bereits dem vergifteten Land ergeben. Sogar das Fehlen jeder Nervosität bei der Stute schien ihm ein Zeichen der Hoffnungslosigkeit zu sein und eher die Stumpfheit als die Intuition des Tieres zu beweisen. Ihre Bewegungen lockerten seine von Furcht verkrampften Muskeln und beruhigten ihn allmählich mit ihrem hypnotischen Rhythmus. Rorie gab sich ihm ebenso wie seiner eigenen überwältigenden Verzweiflung hin.
Er war so gelähmt von der Gewißheit seines Verderbens, daß er beinahe über den Hals des Pferdes nach vorn flog, als es abrupt stehenblieb. Er faßte die Mähne und setzte sich auf dem glatten Rücken zurecht. Sie waren oben auf einem langen, sanften Hang angekommen und blickten auf ein Tal hinunter, das ein Fluß durchschnitt.
Genau in der Mitte, geschützt von den Hügeln ringsum, erhob sich ein Turm.
Es war ein Turm, wie Rorie in seinem kurzen Leben noch keinen gesehen hatte, nicht einmal im Traum. Corandolis und sogar der große Turm zu Hali schienen neben seiner Herrlichkeit nur schäbige Kopien zu sein. Einen solchen Turm, dachte er und spürte ein Zittern durch den Körper der Stute laufen, hatte es in den Domänen seit vielen Jahren nicht mehr gegeben, nicht mehr seit dem Höhepunkt des Comyn-Wahnsinns.
Noch in dem verschleierten roten Licht schimmerte und leuchtete er, als seien Splitter von Sternensteinen in sein Fundament gemischt.
Seine schwebenden Linien sprachen von Anmut und Vertrauen, von Bautechniken, die über bloßes menschliches Maurerhandwerk weit hinausgingen. Und er stand unversehrt in seiner Pracht, unberührt von der Verwüstung, die ihn umgab.
Rorie stieß den angehaltenen Atem aus. Die Stute fiel in einen munteren Trab und richtete die gespitzten Ohren nach vorn. Ohne Befehl ging sie in einen ruckenden Galopp über und fegte den Hang hinunter auf den schimmernden Turm zu.
Das majestätische Tor stand offen. Als Rorie es erreichte, lief eine schlanke Gestalt in leuchtendem Blau herbei, die Hände zum Willkommen ausgestreckt, das lange rote Haar wie ein Banner flatternd.
Ein Mädchen. Ein Comyn-Mädchen.
Rorie faßte den Halfterstrick und brachte die Stute gleich innerhalb des Turmtors zum Stehen. Sein Blick hing an dem Mädchen, und er erkannte, daß sie kein Kind mehr war, sondern eine junge und schöne Frau. Im Hof hinter ihr sprudelte eine Quelle, und er erhaschte einen Blick auf das Grün lebender Pflanzen.
»Gesegnete Cassilda, du bist gekommen!« rief das Mädchen und hob die Arme, um den Kopf der Stute festzuhalten. Sie sah mit großen grünen Augen in einem perfekt herzförmigen Gesicht zu ihm auf. Ihre Wangen waren zart rosig übergossen. Sie begegnete seinem Blick mit einer Ungezwungenheit, die nur von einer Turmausbildung herstammen konnte, und er nahm den unmißverständlichen Hauch von starkem Laran wahr.
»Ich - ich verstehe nicht«, brachte Rorie stotternd hervor. Sein Herz raste ebenso ob ihrer beunruhigenden weiblichen Gegenwart wie wegen der Entdeckung des Turmes. »Was tust du hier?«
Sie schüttelte den Kopf, und das Licht tanzte auf ihrer wundervollen Kupfermähne. »Ich habe mir solche Sorgen gemacht,
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