Rote Spur
er, als wolle er sich ihren Namen einprägen.
Sie nahm seinen Geruch wahr. Sie wusste, dass sie nicht gut tanzte. »Ich bin noch Anfängerin«, entschuldigte sie sich schüchtern. »Ich muss noch viel lernen.«
Daraus bestand ihr erstes Gespräch.
»Und jetzt ein amerikanischer Squaredance«, verkündete der Conférencier.
Milla hatte ihn noch nicht gelernt und blieb deswegen sitzen. Die Musik setzte ein. »Cotton-Eyed Joe«, Country-Musik. Sie sah, wie Lukas Becker seinen Platz in einer der beiden Reihen einnahm, den Rücken ihr zugekehrt.
Sie beobachtete ihn. Anfangs wirkte er ein wenig unsicher und machte ein paar Fehler. Dann schien er sich allmählich an die richtigen Schritte zu erinnern und tanzte mit immer größerer Hingabe, freudig und schließlich sorglos, ja, fast ausgelassen.
Sie hatte seinen Geruch noch in der Nase.
Gegen Ende des Tanzes blickte er sie an und lächelte ihr zu. Hastig wandte sie den Blick ab.
57
Fotokopie: Tagebuch von Milla Strachan
Datum des Eintrags: 2. Oktober 2009
Muss ich das melden? Aber was soll ich Mevrou Killian sagen? Sie werden nicht glauben, wer am Freitagabend beim Tanzstundenball hereingeschneit kam?
Und dann? Dann schicken sie Agenten, die mit den Leuten von der Tanzschule reden, so wie sie neulich Christo ausgehorcht haben. Nein, danke.
Zehn zu eins, dass ich ihn niemals wiedersehe.
|312| (3. Oktober 2009. Samstag.)
In
Crazy Mamma’s Pizzeria
in Walvisbaai war Samstagabends immer etwas los. Es war lustig, voll und laut.
Reinhard Rohn trat ein und sah die Frau an der langen Theke im Hintergrund des Restaurants sitzen. Neben ihr war kein Barhocker mehr frei, so dass er zunächst an einem Tisch Platz nahm.
Er bestellte sich ein Bier und eine Pizza und beobachtete sie heimlich. Sie sah nicht besser aus als auf dem Foto: Ende vierzig, ein wenig übergewichtig, unvorteilhafte Frisur. Doch sie war allein.
Später wurde ein Stuhl neben ihr frei. Er stand auf und nahm sein zweites Bier sowie seine halb gegessene Pizza mit.
»Kann ich mich hierher setzen?«, fragte er sie.
»Na klar doch.« Sie musterte ihn ohne besonderes Interesse. Sie hatte bereits gegessen und trank irgendetwas mit Cola darin.
Er setzte sich neben sie und aß weiter. Sie blickte in die andere Richtung.
»Gut, die Pizza«, bemerkte er.
Sie merkte nicht sofort, dass er mit ihr redete. »Ach so, ja.«
»In Windhuk gehe ich am liebsten ins
La Dolce Vita
.«
Sie schüttelte den Kopf zum Zeichen, dass sie das Restaurant nicht kannte, und blickte ihn erneut an, diesmal etwas aufmerksamer.
Er zeigte auf seinen Teller. »Aber hier schmeckt die Pizza fast genauso gut.«
»Kommst du aus Windhuk?«, fragte sie.
»Ja. Ich bin geschäftlich hier. Und du?«
»Ich wohne hier schon seit neun Jahren.«
»Ach ja? Was machst du so?«
»Ich arbeite bei einer Fischereigesellschaft. Als Leiterin der Buchhaltung.«
(4. Oktober 2009. Sonntag.)
Milla saß an jenem Morgen an dem kleinen Schreibtisch in |313| ihrem Schlafzimmer vor dem Laptop. Sie hatte Microsoft Word geöffnet und begann mit einer neuen Titelseite.
Mit vierzig
Von Milla Strachan
Sie gab eine manuelle Seitentrennung ein und schrieb dann:
Kapitel eins
.
Darunter tippte sie die ersten beiden Sätze ihres jüngsten Versuchs ein. Sie hatte lange über diesen Anfang nachgedacht, war sich jedoch noch immer nicht sicher, ob er der richtige war.
Hannelie, die älter und klüger war, hatte mich oft gewarnt: Mit vierzig verändert sich alles.
Ich hatte ihr nicht geglaubt.
Die Buchhaltungschefin der Fischereigesellschaft rief Reinhard Rohn um kurz nach elf Uhr vormittags an. Er nahm das Telefonat in seinem Hotelzimmer entgegen.
»Hallo, hier ist Ansi.«
»Guten Morgen.«
»Was machst du gerade?«
»Ich arbeite. Und du?«
»Ich liege im Bett und denke an gestern Abend.«
»Und woran denkst du?«
»An alles.«
»Du bist mir ja eine ganz Schlimme.«
»Und wann wird dieses schlimme Mädchen dich wiedersehen?«
»Was hat das schlimme Mädchen heute Abend vor?«
(5. Oktober 2009. Montag.)
Bei Janina Mentz standen Friedensverhandlungen auf der Tagesordnung. Sie betrat Masilos Büro, baute sich, ohne zu zögern, vor ihm auf und fragte: »Was hätten Sie an meiner Stelle getan?«
Er ließ sich seine Überraschung nicht anmerken. »Ich hätte alles dafür getan, um den Terrorakt zu verhindern, selbst wenn |314| es die Zusammenlegung mit den anderen Nachrichtendiensten bedeutet hätte. Ich hätte Verständnis und
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